Kreis und Quer:Im Reich der Mitte

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Was Historiker im dritten Jahrtausend über die Vergangenheit herausfinden

Von Wolfgang Krause

Der Beginn des dritten Jahrtausends nach unserer Zeitrechnung gilt unter Historikern als düsteres, weitgehend unerforschtes Kapitel der Menschheitsgeschichte. Insbesondere die Bedeutung einiger markanter Bodendenkmäler im Norden, Osten und Süden der 200 Jahre später untergegangenen Metropole München geben den Wissenschaftlern Rätsel auf. Da sind zum einen riesige, kreisrunde Ausbuchtungen auf den Verkehrswegen, die der Straßenkreiszeit ihren Namen gegeben haben. Zum anderen finden sich in den Überresten der Siedlungen große, gepflasterte oder betonierte Plätze, die, wie Bodenanalysen gezeigt haben, in den ersten Jahren nach der Fertigstellung kaum von menschlichen Füßen betreten worden sind.

Dass es sich um Kultorte gehandelt haben muss, darüber waren sich die Wissenschaftler schon lange weitgehend einig. Nun aber haben Archäologen spektakuläre Funde ausgewertet, die Aufschluss über die Bedeutung dieser Plätze geben können: Bei Ausgrabungen im Siedlungsgebiet der Ober und Unter bei Haching, Schleißheim, Föhring und Biberg sind sie auf Papiere gestoßen, die dank glücklicher Fügung nicht der damals einsetzenden Digitalisierung zum Opfer gefallen waren. Demnach handelte es sich bei den Kultstätten der beiden Stämme keineswegs, wie zunächst angenommen, um verbotene Orte. Im Gegenteil. Die Plätze des sogenannten Neue-Mitte-Kultes sollten nach dem damals herrschenden Glauben "zum Verweilen einladen" und so ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Bänke, Bäume und Brunnen, die auf fast allen Kultstätten der Ober und Unter zu finden waren, sollten einerseits "Aufenthaltsqualität" schaffen, dienten wohl aber auch rituellen Zwecken.

Am ausgeprägtesten war der Neue-Mitte-Kult in der Unter-Siedlung Haching. Dort stellten die Bewohner lebensgroße Bronzefiguren auf, die an ihrer Stelle auf dem Platz verweilten. Warum die Menschen selbst die Kultplätze mieden, ist indes nicht überliefert. Möglicherweise hat es damit zu tun, dass diese entweiht wurden. Aus der Unter-Siedlung Haching ist überliefert, dass Jugendliche, von einer damals noch seltenen Frühform des kabellosen Internet angelockt, nachts wilde Orgien in unmittelbarer Nähe der Bronzegötzen gefeiert haben sollen. Weiterhin unbekannt ist auch die Bedeutung der Straßenkreise. Einige Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang mit dem bei den Untern und Obern ebenfalls verbreiteten Kult der Entschleunigung, aber das ist reine Spekulation.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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