Kreis und quer:Grenzenlos ansteckend

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Die Corona-Pandemie hat die Kleinstaaterei zurückgebracht. Doch vor dem Virus sind dann doch wieder alle gleich

Kolumne von Wolfgang Krause

Die Pandemie ist im Wortsinn eine Grenzerfahrung. Die Reisefreiheit in Europa ist praktisch aufgehoben und Deutschland zur Kleinstaaterei zurückgekehrt. Aus den 300 Königreichen, Herzogtümern, Grafschaften und reichsfreien Städten von einst sind 400 Landkreise und kreisfreie Städte geworden, in denen jeweils eigene Regeln für die alltäglichsten Dinge gelten. Früher hing es von den Launen und Interessen der Fürsten ab, ob die Bevölkerung katholisch oder lutherisch zu sein und wie viele Ellen eine Meile hatte. Heute entscheiden wahlkämpfende Ministerpräsidenten, Infektionszahlen und im Zweifel der Landrat darüber, ob man abends das Haus verlassen oder Schuhe kaufen darf.

Der Großraum München wird von Grenzen durchschnitten, die in anderen Zeiten kaum wahrgenommen werden, die aber plötzlich das Leben beherrschen. Das führt zu bizarren Situationen. Im Januar musste man den Nachbarlandkreis Miesbach weiträumig umfahren, der als Hotspot galt und ein Einreiseverbot erlassen hatte. Anfang März pilgerten die Münchner zu den Möbelmärkten in Aschheim und Brunnthal, weil im Landkreis trotz steigender Infektionszahlen für eine Woche alle Geschäfte öffnen durften. Und aktuell gilt in Neukeferloh wie überall im Landkreis eine Ausgangssperre, während ein paar Meter weiter in Vaterstetten noch zwei Paare bis spät in die Nacht zusammenhocken dürfen.

Auch mit der geplanten Bundesnotbremse wird sich an dem Flickenteppich im Prinzip nichts ändern. Denn auch sie soll nur vorgeben, was passiert, wenn in einer Region bestimmte Inzidenzwerte dauerhaft überschritten werden. Und es wird weiterhin Ermessensfragen geben - zum Beispiel, wenn die Infektionszahlen des Robert-Koch-Instituts mal wieder zu niedrig sind. Dass man damit ganz unterschiedlich umgehen kann, hat sich gezeigt: Als es im Landkreis passierte, schimpfte Landrat Christoph Göbel zwar über den "Schwachsinn", fügte sich aber drein. Der Münchner OB Dieter Reiter dagegen korrigierte die falschen Zahlen Anfang dieser Woche eigenmächtig und zog die Notbremse.

Dass inzwischen wieder fast überall dieselben harten Regeln für die Bevölkerung gelten, hat nur einen einzigen Grund: Bei all dem Wirrwarr und Hin und Her konnte sich das Virus über alle Grenzen hinweg stark ausbreiten. Und weil die Impfkampagne immer noch recht schleppend vorankommt, werden die Infektionszahlen weiter steigen - solange immer nur darüber geredet wird, wie man die Menschen in ihrer Freizeit einschränken könnte. Ändern wird sich das erst, wenn auch Unternehmen außerhalb des Einzelhandels, der Gastronomie und der Kulturbranche Grenzen gesetzt werden, etwa mit einer Pflicht zum Home-Office für nicht systemrelevante Betriebe. Danach wird bald wieder das bekannte Durcheinander herrschen. Hoffentlich.

© SZ vom 17.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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