Kreis und quer:Es bleibt in der Familie

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Jahrzehntelange geltende Gewissheiten bröckeln. Beim Nachverhandeln der MVV-Tarifreform sind sich die Landkreises ihrer neuen Macht bewusst.

Kolumne Von Martin Mühlfenzl

Bisher hat das Ringen um die MVV-Tarifreform eher an ein Familiendrama erinnert, einen Scheidungskrieg. Ein Vater, der kein Geld rausrücken will, eine Mutter, die das noch verbliebene Haushaltsgeld mit allen Mitteln zusammenhalten will, und acht Kinder, die am Ende eines solchen Dramas doch immer die Leidtragenden sind, weil niemand auf sie Rücksicht nimmt. Der Freistaat, die Landeshauptstadt und acht Verbundlandkreise. So war das bisher, wenn es um Ticketpreise und Zonen ging. Doch damit ist jetzt Schluss.

Jahrzehntelange geltende Gewissheiten bröckeln und geraten ins Wanken. Wenn es um die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs in der Metropolregion ging, wurde stets umgesetzt, was in der Staatskanzlei und im Münchner Rathaus ausgedealt worden war. Die Meinung draußen in den Landratsämtern und Rathäusern? Wurscht, hat nie jemanden wirklich interessiert. Wie sich die Zeiten geändert haben. Wenn am kommenden Freitag über die Tarifreform nachverhandelt wird, werden Ministerpräsident Markus Söder - der sich schon als Retter des Reformwerks geriert - und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter - der die Neustrukturierung unbedingt will - immer im Hinterkopf haben, dass sich die Machtverhältnisse verschoben haben und die Landkreise sich ihrer neu gewonnenen Macht durchaus bewusst sind. Vor allem der Landkreis München.

Denn von hier aus nahm der Sturm der Entrüstung über die bereits ausgehandelte Tarifreform so richtig Fahrt auf. Vor allem die Bürgermeister der Kommunen im Norden, aber auch Landtagsabgeordnete und Kreisräte von CSU und SPD wollen nicht kampflos hinnehmen, dass sie plötzlich in Zonen landen, die ihrer Wirtschaftskraft, Einwohnerentwicklung und vor allem Nähe zur und Verwobenheit mit der Landeshauptstadt nicht gerecht werden. Wie sagte der CSU-Landtagsabgeordnete Ernst Weidenbusch: Es könne niemandem erklärt werden, wenn ein Münchner 23 Kilometer von Pasing nach Trudering fährt und dafür knapp 60 Euro zahlt, ein Unterschleißheimer aber für acht Kilometer in die Arbeit zu BMW nahezu das Doppelte. Besser kann die Realitätsferne dieser Reform nicht erklärt werden.

Wie groß der Druck auf die Landeshauptstadt, aber vor allem auf den Freistaat ist, lässt sich an der Reaktion des Ministerpräsidenten ablesen. Dass Markus Söder plötzlich die Tarifreform als Thema entdeckt hat, liegt selbstverständlich auch an der bevorstehenden Landtagswahl. Wie auch seine Ankündigung, Geld zuzuschießen. Aber egal. Wichtig ist, dass der Freistaat seine Verantwortung anerkennt und tatsächlich in großem Stil investiert. Denn zu lange hat er die Landkreise und Kommunen alleine gelassen. Beim öffentlichen Nahverkehr, bei den staatlichen Aufgaben, die er an die kommunale Ebene weiter delegiert, bei der Unterbringung und Integration von Geflüchteten. Das gehört sich nicht in einer Familie. Selbst, wenn es Streit gibt.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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