Kreis und quer:Ein weites Feld

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Die Welt ändert sich, im Großen wie im Kleinen. So lernen Kinder nicht mehr in einem Schulzentrum, sondern in einem Bildungscampus. Ihre Eltern arbeiten nicht im Gewerbegebiet, sondern im Business Campus. Überlegungen zu modernen Sprachschöpfungen

Von Konstantin Kaip

Ach, wie hat sich die Welt, in der wir leben, doch geweitet. All die grauenhaften, beklemmenden Orte, an denen man früher seine Zeit fristen musste, verschwinden und werden zu offenen lieblichen Landschaften. Schulen, Gewerbegebiete, unzählige Zentren, deren klaustrophobische Konzentration uns einst schon bei der bloßen Nennung ihrer Namen den Schweiß auf die Stirn trieb - sie wurden zugunsten unseres Wohlbefindens von der Landkarte gefegt. Stattdessen: friedliche Felder, wohin das Auge reicht.

Denn der Campus, der auf Deutsch unter anderem Feld, Ebene, freier Platz bedeutet, bestimmt immer mehr unsere Region. Zum Beispiel in Haar: Wo früher einfach eine Fachober- und eine Realschule gebaut worden wären, die man allenfalls als Schulzentrum bezeichnet hätte, will der Landkreis nun einen Schulcampus säen. Vorbei die Zeit in engen dunklen Klassenräumen. Stattdessen erweitern die Kinder nun auf den grünen Auen der Lernlandschaft ihren Horizont. Im neuen Münchner Stadtteil Freiham wird übrigens gleich die Schule mit abgeschafft, schließlich soll dort ein Bildungscampus entstehen. Das Wort Campus, das einst Universitäten vorbehalten war, die in der Regel weit ab von den Stadtzentren als funktionale Komplexungetüme die Ablenkungsmöglichkeiten der Studierenden minimierten, haben Planer längst zum plakativen Universalbegriff der Wohlfühl-Atmosphäre gemacht. In Garching gibt es schon lang kein Gewerbegebiet mehr, dafür einen Business Campus; ein Ableger entsteht in Unterschleißheim. Und beim Neubiberger Chiphersteller Infineon wurde das Werksgelände kurzerhand zum Campeon, auf dem vermutlich auch jede Menge schmackhafte Schwammerl wachsen.

Da freut man sich direkt auf die Zukunft: Morgens bringt man die Kleinste zum Entwicklungscampus und den Älteren zum Bildungscampus. Nach einem Arbeitstag im Businesscampus schaut man noch schnell beim Einkaufscampus vorbei, bevor man die kranke Mutter kurz im Gesundheitscampus besucht, um später im Bürgercampus eine Gemeinderatssitzung zu verfolgen. Das ganze Leben ein einziges weites Feld! Werden also, um es literaturwissenschaftlich zu sagen, bald alle loci terribili zu loci amoeni - also die ganzen schrecklichen zu angenehmen Orten? Ein leiser Zweifel bleibt, wenn man die Bandbreite der Bedeutungen des lateinischen Wortes campus betrachtet: Das kann nämlich auf Deutsch auch Schlachtfeld heißen.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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