Kreis und quer:Defilee der Bakterien

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Bei Empfängen kriegen die Bürgermeister vor lauter Zupacken fast einen Krampf. Nicht auszudenken, was sie sich bei dem Ritual noch alles einfangen

Von Iris Hilberth

Es ist eine unvermeidliche Höflichkeitsgeste, doch bei zigfacher Wiederholung mitunter auch eine echte körperliche wie psychische Herausforderung für den Gastgeber. Politiker sind Händeschütteln gewohnt, im Wahlkampf sowieso, aber auch zu Beginn eines neuen Jahres. Stets muss der Bürgermeister nehmen, was ihm da entgegengestreckt wird, und - ob er die Pratzen seines Gegenübers nun appetitlich findet oder nicht - kraftvoll zupacken und freundlich lächeln. Bei Neujahrsempfängen können das schon mal mehrere hundert Hände sein, die da zudrücken. Manche feucht und schmierig wie ein nasser Waschlappen oder ein glitschiger Fisch, andere trocken, aber von der Kälte ganz rau. Schmale, knochige, kalte Hände älterer Damen, fleischige Finger korpulenter Besucher. Es gibt Kandidaten, die dem gegenüber ihre Kraft spüren lassen, und andere, die eher schlaff unterwegs sind. Und dann gibt es noch die Dauer-Schüttler, die gar nicht mehr auslassen, auch wenn die Neujahrswünsche längst ausgetauscht sind, der Arm fast ausgekugelt ist und beiden schon gar nichts mehr an Nettigkeiten einfällt.

Beruhigend: Etwa 70 Prozent der Menschen beherrschen den ganz normalen Händedruck. Optimal ist er, wie Caroline Krüll und Christian Schmid-Egger in ihrem Trainingsbuch für Körpersprache beschrieben haben, wenn die eigene Hand die des anderen ganz umfasst. Die Hände müsse man gerade gehalten, die Arme abwinkeln und zwischen beiden Personen sollte eine mittlere, gesunde Distanz sein. Schütteldauer: Etwa drei Sekunden - und dabei dem anderen in die Augen schauen. Bürgermeister, die das beim Dauerschütteln während des Neujahrsempfangs in ihrer Gemeinde beherzigen, haben schon mal viel richtig gemacht.

Nun stellt sich gerade in Zeiten der Erkältungswellen und grassierenden Durchfallerkrankungen die unausweichliche Frage, was man sich mit dem Händeschütteln außer Neujahrswünschen noch so alles einfängt. Man darf eigentlich als Gastgeber gar nicht daran erinnert werden, was bei einem Defilee an Bakterien auf einen zu kommt. Im Normalfall befinden sich auf jedem Quadratzentimeter unserer Haut um die 100 Keime. Auf dem Toilettensitz sind es übrigens bis zu 300 und auf dem Spülbecken rund 30 000. Wenn man nun auch noch darüber nachdenkt, wer sich wohl nach dem Toilettengang die Hände nicht wäscht, wird es eklig. Schließlich hatten Beobachtungsstudien der London School of Hygiene & Tropical Medicine mit rund 250 000 Besuchern von Raststättentoiletten ergeben: Nicht einmal jeder dritte Mann benutzt dort Wasser und Seife, bei den Frauen waren es immerhin 64 Prozent. Das würde auch erklären, warum man auf Erdnüssen in Schälchen auf Bar-Tresen leicht mal Spuren vom Urin von bis zu 27 verschiedenen Personen findet. Der ehemalige US-Präsident George W. Bush soll gegen Ansteckungen immer ein Fläschchen Desinfektionsgel namens "Purell" bei sich gehabt haben. Kann man machen. Auf jeden Fall: Keine Nüsschen essen.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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