Kreis und quer:Alles nur Kulisse

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Von einem Landkreis, in dem nicht nur Mietfahrräder, sondern auch Schiffscontainer und Milliarden verschwinden

Kolumne von Lars Brunckhorst

Heute mal was zum Rechnen: Wenn die 1100 Mieträder, die es im Landkreis gibt, im vergangenen Jahr 74 300 Mal ausgeliehen wurden, wie viele Tage standen sie dann ungenutzt herum? Wer Kinder in der dritten Klasse hat, die fit in Textaufgaben und Dreisatz sind, also wissen, wie viele Gummibärchen in einer Tüte übrig bleiben, wenn Fritzchen drei rote an Lieschen verschenkt und Oskar zwei gelbe mehr hat als Kurt grüne, holt sich mal eben Hilfe von den Kurzen. Für alle anderen hat Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer die Lösung ausgerechnet: Es sind zu viele - weshalb er keine Leihräder in seiner Gemeinde will.

Im Landratsamt, das die statistisch 70 Fahrten pro Rad als großen Erfolg feiert, hat man dagegen lieber nicht genau nachgerechnet. Besser so. Wer weiß, was herausgekommen wäre? Heißt es doch weiter in einer Pressemitteilung der Kreisbehörde: "Rund 71 300 Räder wurden im Berichtszeitraum im Landkreis München zurückgegeben, also etwa 3000 weniger, als im selben Zeitraum ausgeliehen wurden." Das ist mal eine wundersame Vermehrung.

Ähnlich muss es bei Wirecard in Aschheim mit dem Geld gelaufen sein, nur in viel größeren Dimensionen. Da wurden aus Tausendern nicht nur Zehntausende, sondern Abermillionen. Und so wie von den tausend Leihrädern am Ende 3000 nicht mehr aufzufinden waren, sind jetzt eben in den Bilanzen 1,9 Milliarden Euro futsch, die es niemals gab. Kann passieren. Ist auch nicht das erste Mal. In Grünwald zum Beispiel hat die Firma P&R mit Zigtausenden Schiffscontainern gehandelt, die es gar nicht gab. Als der Betrug vor zwei Jahren aufflog, sahen die Anleger ihre 3,5 Milliarden Euro genauso wenig wieder wie die Container.

Luftbuchungen scheinen im wirtschaftlich stärksten Landkreis Bayerns also Methode zu haben. Und so keimt der unheimliche Verdacht, dass es sich bei diesem Raum zwischen Unterschleißheim und Gräfelfing, der in allen möglichen Rankings stets als der bevölkerungsreichste, finanzkräftigste, innovativste, zukunftsfähigste, lebenswerteste und überhaupt geilste gepriesen wird, um eine reine Fiktion handelt. Die Millionäre in Grünwald? Gibt es nur in Illustrierten. Das Schleißheimer Schloss? Eine potemkinsche Kulisse. Die Nackerten am Feringasee? Eine Fata Morgana. Der fröhlichste Landrat? Alles nur Fake.

Wer zu Verschwörungstheorien neigt und Aluhüte trägt, hat das schon länger vermutet. Schließlich hat der Landkreis München nichts, was ein Landkreis braucht: weder eine Kreisstadt noch eine Kreisklinik, kein eigenes Autokennzeichen und erst recht keine eigene Identität. Eigentlich stellen die Münchner hier nur ab, was bei ihnen keinen Platz mehr hat: Müllverbrennungsanlagen, Messeparkplätze und Mietfahrräder. Vielleicht sollten die Prüfer von Ernst & Young daher einmal im angeblichen Speckgürtel nachschauen, ob da rund um München nicht nur ein großes Loch klafft.

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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