Krakau und Wieliczka:Natur und Legenden

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Mit den polnischen Landkreisen Krakau und Wieliczka verbindet den Landkreis München seit zwölf Jahren eine Partnerschaft. Auch sonst gibt es einige Parallelen zwischen den Regionen

Von Irmengard Gnau, Krakau und Wieliczka

Ihre Mitbürger vor Unheil zu bewahren, ist die Aufgabe von Feuerwehrleuten landein, landaus, sie tun dies meist beherzt mit Hilfe von Schläuchen, Leitern und Sirenen. In Krakau jedoch greifen manche Feuerwehrmänner zu einem ganz besonderen Handwerkszeug - der Trompete. Zu jeder vollen Stunde steigt ein Feuerwehrmann auf den Turm der Marienkirche auf dem Krakauer Marktplatz und bläst von dort aus in alle vier Himmelsrichtungen eine getragene Melodie, den sogenannten Hejnał.

Die Tradition des Turmbläsers geht zurück auf eine Legende aus dem Mittelalter. Im Jahr 1241 soll ein Wächter bemerkt haben, wie die Tartaren im Begriff waren, heimlich die Stadt anzugreifen. Um sich bemerkbar zu machen und die Einwohner zu warnen, griff er zu seiner Trompete und blies unaufhörlich den Hejnał - bis ihn ein Pfeil der Angreifer in die Kehle traf und seinem Spiel ein jähes Ende bereitete. Darum bricht die Melodie auch heute noch jedes Mal abrupt ab. Der Trompeter auf dem Turm ist eine der Attraktionen Krakaus, den die Besucher der polnischen Stadt nicht so schnell vergessen. Auch Peter Benthues, CSU-Stadtrat aus Oberschleißheim und langjähriger Kreisrat, hat sich die melodische Tradition eingeprägt. Überhaupt ist Benthues begeistert von Krakau und seiner Umgebung, und das, obwohl der heute 78-Jährige lange Zeit ein schwieriges Verhältnis zu Polen hatte.

Wo früher Salz abgebaut wurde, befinden sich heute prächtige Säle, eine Kapelle und ein Restaurant. (Foto: Landratsamt München)

Selbst in der Nähe von Breslau geboren, erlebte Benthues als Kind, wie er und seine Familie von polnischen Milizen aus ihrer schlesischen Heimat vertrieben wurden. Diese Erfahrung ließ in ihm eine große Feindschaft gegenüber dem Nachbarland erwachsen, die erst Jahrzehnte später enden sollte, dank des Beharrens des damaligen Landrats von München, des kürzlich verstorbenen Heiner Janik. Dieser hatte Anfang der 2000er Jahre den Grundstein gelegt für die Partnerschaft zwischen dem Landkreis München und den Landkreisen Krakau und Wieliczka und überredete Benthues, mit zu einem Besuch nach Polen zu fahren. Dort erlebt jener einen Moment der Befreiung. Als Benthues in einer gemeinsamen Sitzung das Wort ergreift und die ihn bedrückenden Erlebnisse schildert, gibt sich auch ein polnischer Kollege einen Ruck und erzählt, wie er seinerseits von den Sowjets vertrieben wurde. Am Ende fallen sich die beiden Männer in die Arme. Der dunkle Schatten des Unheils, das vor Jahren auf beiden Seiten geschehen ist, belastet das Verhältnis nicht länger.

Mit dem anderen Erzähler, dem damaligen Vizelandrat Wladyslaw Kusinski, verbindet Benthues seitdem eine Freundschaft, sie schreiben sich bis heute Briefe. Auch die Landkreise sind einander eng verbunden. 2013 beging man das zehnjährige offizielle Bestehen der Partnerschaft mit einem großen Festakt, regelmäßig besuchen sich Delegationen gegenseitig und erkunden die jeweils andere Region. Dabei gibt es viel zu entdecken bei den polnischen Partnern, berichtet Benthues.

Das Salzbergwerk in Wieliczka zählt zum Weltkulturerbe der Unesco. (Foto: Team Red)

Ähnlich wie der Landkreis München die Landeshauptstadt umgeben der Landkreis Krakau und der kleinere Landkreis Wieliczka, die erst 1999 im Zuge einer landesweiten Verwaltungsreform entstanden, die Großstadt Krakau. Diese gilt nicht zu Unrecht als heimliche Hauptstadt Polens und hat neben dem Renaissance-Königsschloss auf dem Wawel, der gotischen Marienkirche, dem alten jüdischen Viertel Kazimierz und dem Hauptmarkt eine beeindruckende Vielzahl von Sehenswürdigkeiten zu bieten. "Mich begeistert vor allem, dass Krakau, obgleich es eine unglaublich alte Stadt ist, eine sehr jugendliche Ausstrahlung hat", schildert Benthues. Mehr als 100 000 Studenten leben in der südpolnischen Metropole, in der die zweitälteste Universität Mitteleuropas beheimatet ist. Bei einem Spaziergang durch die Altstadt entlang der Weichsel zeugen historische Bauwerke aus verschiedenen Epochen von der reichen Geschichte der Stadt; sie verbinden sich mit modernen Ansichten des Industrie- und Kulturzentrums, zu welchem sich Krakau in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat.

Die Attraktivität der Stadt hat aber auch einen Nachteil. "So ein Stadt-Umland-Verhältnis wie wir im Landkreis München, haben natürlich auch die Gemeinden um Krakau", erklärt Benthues - wie schön die Krakau umgebenden Landkreise sind, entdecken Besucher oft erst auf den zweiten Blick. Dabei haben der "Powiat Krakowski" und der "Powiat Wieliczki", wie die Landkreise in der Landessprache heißen, durchaus ihre Reize. Lange Zeit waren sie vor allem als Lieferanten von Gemüse und anderen Agrarprodukten für die Stadt von Bedeutung, inzwischen hat sich der Landkreis Krakau zu einem der wirtschaftsstärksten des Landes entwickelt, ganz ähnlich wie sein Partnerlandkreis München.

Touristisch beeindruckt die Region vor allem mit Natur. Das Weichseltal umgeben viele Naturschutzgebiete, darunter der malerisch gelegene Ojców-Nationalpark. Der kleinste polnische Nationalpark birgt eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt; in den Höhlen des Parks leben zum Beispiel Fledermäuse wie das Große Mausohr. Auch historisch ist die Region spannend. Ihre Geschichte lässt sich bis in vorgeschichtliche Zeiten zurückverfolgen, in den Höhlen bei Ojców entdeckten Archäologen gar Spuren des Neandertalers. Von der jüngeren Landesgeschichte zeugen Holzkirchen und Burgruinen, wie etwa die Ruinen in Rudno, die aus dem 14. Jahrhundert stammen.

Ein besonderer Höhepunkt für Besucher verbirgt sich in der Tiefe: Das ehemalige Salzbergwerk Wieliczka zieht jedes Jahr mehr als eine Million Touristen an (Bericht unten). Die Mine biete ein beeindruckendes Erlebnis, findet Benthues: "Das muss man gesehen haben." Auch nach einem halben Dutzend Besuchen ist der Oberschleißheimer noch stets angetan von der polnischen Partnerregion. Zu seinem 70. Geburtstag haben ihm seine Kinder eine Reise nach Breslau geschenkt, die will er nun bald einmal antreten. Außerdem sagt der ehemalige Kreisrat bestimmt: "Sobald ich wieder eine Einladung zum Partnerschaftstreffen in Polen bekomme, werde ich sofort dabei sein."

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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