Kotvrdovice:Folklore im Herzen

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Marie Chrástecká kam über ihren Mann zum Folkloretanz und leitet in ihrem Heimatdorf Kotvrdovice eine Gruppe, die traditionelle Tänze aufführen. (Foto: privat)

Marie Chrástecká hilft, traditionelle Tänze wieder populär zu machen

Interview und Übersetzung von Cathrin Schmiegel, Kotvrdovice

Marie Chrástecká tanzt, seit sie denken kann. Im Laufe der Zeit hat sie verschiedenste Tänze durchprobiert, hängen geblieben ist die 34-Jährige schließlich bei Folklore. In ihrer Heimatgemeinde, dem tschechischen 630-Seelen-Dorf Kotvrdovice leitet sie als Vorsitzende eine sogenannte "Chasa": eine Gruppe aus etwa 30 jungen Menschen, die auf den Dorffesten in der Region Folklore-Tänze aufzuführen. Dafür üben sie, in jedem Jahr zwei Monate lang, zwei Mal in der Woche, um die Tradition wiederzubeleben.

SZ: Wie fanden Sie zu Folklore?

Marie Chrástecká: 2008 habe ich zusammen mit meinem Mann ein Jahr lang Freiwilligenarbeit in Indien geleistet. Dort gab es unglaublich viele Bräuche und Feste. In Kotvrdovice ist das nicht so. Das letzte Volksfest, an das ich mich erinnere, fand 1992 statt. Dort tanzten auch Menschen in Folklore-Kostümen. Nach unserer Rückkehr aus Indien haben mein Mann und ich dann beschlossen, diese Tradition wieder aufleben zu lassen. Mein Mann tanzt Volkstänze seit er ein Kind ist. Er selbst hat es mir 2006 beigebracht. Drei Jahre später haben wir ein Volksfest organisiert, bei dem vier Tanzpaare auftraten. Ich glaube, alle hatten ihren Spaß. Im nächsten Jahr wollen wir wieder ein Fest organisieren.

Wie hat sich Folklore in der Tschechischen Republik entwickelt?

Die Anfänge von Folklore-Tänzen und deren Kostümen kann man in Tschechien auf das 18. Jahrhundert datieren. Seine Ausgestaltung ist von Region zu Region verschieden, seine Entwicklung hängt eng mit den verschiedenen Landschaften, der Landwirtschaft, Herrschern, Kriegen und den Nachbarstaaten zusammen. Beispielsweise haben im Süden von Mähren junge Männer einen speziellen Solo-Tanz aufgeführt, bevor sie in die Armee eingezogen wurden, den "verbunk". Jede Region hat ihre ganz eigenen Tänze und Trachten, die wir "kroj" nennen. In unserer Umgebung tragen die Menschen sogenannte "podhoracky kroj", was so viel wie Unterberg-Trachten bedeutet. Wir haben sie 2013 entworfen und dafür Geschichtsbücher, ältere Gemeindemitglieder und zwei Folkloristen aus Brünn konsultiert.

Wie wichtig ist Folklore in der modernen Tschechischen Republik noch?

Auch das kommt ganz auf die Region an. Es gibt natürlich Orte, in denen Folklore nicht existiert. In den letzten Jahren aber steigt die Popularität wieder. Das konnte ich in den Nachbargemeinden und in Kotvrdovice beobachten. Es gibt an die 500 offiziellen Folklore-Ensembles in der Tschechischen Republik. In meiner Heimat haben wir mit vier Tanzpaaren begonnen. Heute, sechs Jahre später, treten wir mit 15 Paaren auf. Ich glaube, viele Menschen haben angefangen, sich wieder für die Musik zu interessieren. Ich freue mich darüber, dass heute junge Männer in den Diskotheken Folklore tanzen, zu elektronischer Musik. Ich hoffe sehr, dass es irgendwann einmal auch wieder verbreitet sein wird, die traditionellen Kostüme häufiger zu tragen. So wie das in Bayern zum Beispiel der Fall ist.

Was ist es, was Sie selbst an Folklore so fasziniert?

Ich liebe Folklore-Songs und die vielen Tänze. Sie sind zeitlos. Volksmusik ist etwas, das in den Herzen der Menschen seit Jahrhunderten lebt. Die Leute damals wollten keinen Profit aus der Musik schlagen. Sie wollten mit den Liedern schlicht und ergreifend ihr Leben, ihre Freuden und ihre Probleme reflektieren. Das Tanzen selbst ist eine besondere Erfahrung, die man mi t seinem Partner teilt.

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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