Kommunalunternehmen:Ganz ohne Bürokratie geht's nicht

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Baufirmen sind derzeit schwer zu finden - das bekommen Gemeinden, die auf Kommunalunternehmen setzen, genauso zu spüren wie andere. (Foto: Stephan Rumpf)

Durch die Gründung von Kommunalunternehmen wollen Gemeinden wie Höhenkirchen-Siegertsbrunn den Bau von günstigen Wohnungen beschleunigen. Das Beispiel Haar zeigt jedoch: Auch dieses Modell hat seine Tücken

Von Bernhard Lohr

Die Gemeinden im Landkreis München machen den Wohnungsbau zur Chefsache. Günstige Mietwohnungen sollen aus dem Boden gestampft werden, um dringend benötigte Erzieher und Altenpfleger in die Orte zu holen. Als ein Weg zum Erfolg gelten Kommunalunternehmen, die mit Hilfe des soeben bis Mitte 2025 verlängerten Wohnraumförderprogramms des Freistaats tätig werden. Nach Haar gründet Höhenkirchen-Siegertsbrunn ein solches Unternehmen, das Wohnungen baut und irgendwann verwaltet sowie aus eigenen Mitteln unterhält. Ismaning prüft einen solchen Schritt. Die Erwartung: schnelle Entscheidungen, weniger Bürokratie und niedrigere Kosten.

Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum in den Gemeinden entwickelt sich mehr und mehr zur Schlüsselfrage. In Höhenkirchen-Siegertsbrunn bleiben Kita-Gruppen geschlossen, weil Erzieherinnen fehlen. Auch in Haar, wo man bislang beim Personal irgendwie noch zurecht kam, schlug Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) letztens Alarm. Ähnlich prekär ist die Lage in den Seniorenheimen. Die gemeindliche Einrichtung "Wohnen am Schlossanger" in Höhenkirchen-Siegertsbrunn erwartet dieses Jahr ein Defizit jenseits der 300 000-Euro-Marke, auch weil teures Aushilfspersonal akquiriert werden muss. In Haar steht der Umzug in das neue Maria-Stadler-Haus an, wo statt 100 Senioren dann 140 betreut werden können. Doch das Personal muss erst einmal da sein.

Auch Feuerwehrleute und andere in der Gemeinde rufen nach günstigem Wohnraum. Wer ist wichtiger, für die Gesellschaft? Wer hat mehr Anrecht auf Unterstützung durch die Kommune? Da herrsche mittlerweile offene Konkurrenz, sagt Bürgermeisterin Müller. Die Wohnungsnot habe die "Mittelschicht" erreicht. Deshalb entschied Haar nach längerer Debatte 2016, ein Kommunalunternehmen zu gründen, um den Bestand von 200 Gemeindewohnungen auszubauen. "Das Ziel war, einen eigenen Geldkreislauf für vergünstigte Wohnungen für Haarer Bürger in Gang zu setzen", sagt die Bürgermeisterin. Es solle eben nicht mehr der Haushaltslage überlassen bleiben, ob gebaut wird. Die im Grunde freiwillige kommunale Aufgabe der Versorgung der Bürger mit Wohnraum soll einen festen Platz auf der Agenda bekommen. Und das Kommunalunternehmen soll das Instrument dafür sein.

Stefan Detig hält diese seit 1995 in Bayern existierende Rechtsform wie dafür geschaffen. Detig war Bürgermeister in Pullach und hat dort vor 14 Jahren ein Kommunalunternehmen gegründet. Als Fachanwalt für Kommunalrecht hat er Haar beraten und steht gerade Höhenkirchen-Siegertsbrunn zur Seite, die kommunale Anstalt öffentlichen Rechts zu schaffen, die ohne Gewinnabsicht zur Erfüllung eines öffentlichen Zwecks agiert. Abgesehen von steuerlichen Vorteilen gegenüber einer GmbH ein wichtiger Aspekt: Schließlich soll das Unternehmen wie eine Firma arbeiten und zugleich als Instanz der öffentlichen Hand Zuschüsse erhalten dürfen, ohne in den Ruch zu geraten, es handle sich um unzulässige Subvention.

Bürgermeisterin Ursula Mayer (CSU) erhofft sich mit dem Kommunalunternehmen für Höhenkirchen-Siegertsbrunn, aus den "langen Abläufen innerhalb der Verwaltung" auszubrechen. "Es brennt unter den Nägeln", sagt sie. "Beschleunigen, beschleunigen, beschleunigen - das ist das Ziel und der Zweck." Als großen Vorteil sieht sie, dass der Vorstand des Unternehmens anders als der Bürgermeister oder der Gemeinderat nach einer Ausschreibung nicht zwingend dem wirtschaftlichsten - sprich, in der Regel, dem günstigsten - Anbieter den Auftrag zuteilen muss. Der Vorstand könne sich mit den Firmenchefs, die Angebote abgegeben hätten, zusammensetzen, sagt auch Detig. Sie könnten in Verhandlungen den Auftrag besprechen und, wenn es sich ergibt, auch spätabends noch mit einer Unterschrift die Zusammenarbeit besiegeln. Es muss nicht erst der Gemeinderat einberufen werden, der dann formal die Vergabe beschließt. So kann die Dachdeckerfirma oder der Installateur aus dem Umkreis zum Zug kommen statt der Firma, die Hunderte Kilometer weit entfernt ihren Sitz hat. Wenn es Probleme gibt oder nachgearbeitet werden muss, ist die Nähe ein Vorteil. Man kennt sich, man vertraut sich. Es werde eine Auftragsvergabe möglich, "wie sie ein Privatmann auch machen würde", sagt Detig.

Jemand wie Mindy Konwitschny sieht das freilich auch skeptisch. Die SPD-Gemeinderätin und Zweite Bürgermeisterin in Höhenkirchen-Siegertsbrunn sorgt sich um die Transparenz und befürchtet, dass Bauvorhaben am Gemeinderat vorbeilaufen könnten. Das sollen satzungsgemäß garantierte Informationspflichten des Vorstands verhindern. Auch behält der Gemeinderat über die Bauleitplanung Einfluss. Und natürlich schicken die Fraktionen ihre Vertreter in den Verwaltungsrat des Unternehmens, dessen Geschicke sie durch Satzungsänderungen beeinflussen können. Detig rät den Gemeinderäten, sich bei ihrem Streben nach Kontrolle "etwas zurückzunehmen", um von den Vorteilen des Kommunalunternehmens zu profitieren. Nur mit schlanken Strukturen und schnellen Entscheidungen seien Wohnungen zu bauen, die für neun oder zehn Euro je Quadratmeter vermietet werden könnten.

Haar möchte dem Kommunalunternehmen nur den gemeindlichen Wohnungsbau übertragen. Höhenkirchen-Siegertsbrunn greift da weiter aus. So soll es auch zwei Kindergärten errichten, ein Multifunktionsgebäude am Bahnhofsplatz umbauen und selbst beim Feuerwehrhaus in Siegertsbrunn soll es federführend agieren. Wobei dabei daran gedacht ist, dies in einem eigenen Vertrag zu regeln, also nicht als Satzungszweck festzulegen. Einen Blitzstart sollten sich die Höhenkirchner allerdings nicht erwarten, wie das Beispiel Haar zeigt. Bürgermeisterin Müller räumt ein, dass das Ende 2016 gegründete Kommunalunternehmen dort wegen des großen rechtlichen Klärungsbedarfs schleppend in Gang gekommen ist. Zudem musste das größte Projekt in Haar, der Bau von 36 Wohnungen an der Katharina-Eberhard-Straße, wegen der Bausumme von 9,7 Millionen Euro weiterhin europaweit ausgeschrieben werden mit all den Regularien. Und vor allem: Es fand sich bisher keine Firma für die Baumeisterarbeiten.

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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