Kommentar:Unehrliches Manöver

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Bürgerentscheide sind ein gutes Mittel der Demokratie. Die Initiative Wir in Pullach aber hat es für ihre Interessen missbraucht

Von Martin Mühlfenzl

Die Bürger wollen mitreden. Der Wunsch, in Entscheidungen einbezogen zu werden, die das Gesicht der eigenen Stadt oder Gemeinde verändern, nimmt immer weiter zu. Dieses wachsende Interesse ist grundsätzlich zu begrüßen, entzaubert es doch die Mär von einer anhaltenden Entpolitisierung der Gesellschaft. Gefährlich wird es allerdings, wenn diese neue Leidenschaft der Bürger für politische Entscheidungsprozesse von Egoismen oder Ängsten geweckt oder gar befeuert wird.

Der von der Initiative Wir in Pullach (WIP) initiierte Bürgerentscheid über den Bau von 22 gemeindeeigenen Wohnungen ist ein Paradebeispiel dafür, wie es nicht laufen sollte. Eine sehr laute und erzürnte Minderheit im Gemeinderat - die WIP - hat einfach nicht akzeptieren können, in einem demokratischen Prozess den Kürzeren gezogen zu haben. In einem Verfahren, das sich genau so wöchentlich Dutzende Male im Landkreis abspielt: Im gewählten Stadt- oder Gemeinderat wird um die Sache gerungen, gestritten, debattiert und nach Lösungen gesucht. Manchmal über Monate hinweg. Bürger werden beteiligt, übergeordnete Instanzen prüfen Pläne, Kämmerer müssen offenlegen, was überhaupt finanziert werden kann und was nicht. Und dann? Entscheidet die Mehrheit. Die Minorität verliert. Der größere Teil des Gremiums freut sich, der geringere Teil ärgert sich. So funktioniert Demokratie, im Kleinen wie im Großen.

Die Möglichkeiten, die Bürger während eines solchen Verfahrens einzubinden, sind gleich mehrfach gegeben. Etwa über die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung bei Bauleitplanungen. Auch das Instrument der direkten Demokratie mit einem Bürgerbegehren gehört dazu - und hat sich seit den Neunzigerjahren bewährt. Auch die WIP in Pullach hatte das Recht, diesen Weg zu beschreiten - während sie mit allen anderen Parteien um die gemeindeeigenen Wohnungen gerungen hat. Die Bürger nach der Entscheidung aufzustacheln, ist aber mehr als unredlich, führt die eigentliche Arbeit des Gemeinderats ad absurdum und suggeriert dem Bürger, er könne zu jedem Zeitpunkt Entscheidungen der von ihm Gewählten zurückdrehen. Das, wissen alle Demokraten, ist unehrlich.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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