Kommentar:Sozialer Sprengstoff

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Wenn man durch eine Vollzeitarbeit sein Leben nicht mehr finanzieren kann, ist das beschämend

Von Gudrun Passarge

Der Landkreis boomt. Jeden Monat aufs Neue ist von Vollbeschäftigung die Rede. Und trotzdem gibt es immer mehr Menschen, die sich verschulden, die nicht mehr genügend Geld haben, sich ein Leben in einer der prosperierenden Kommunen am Rande Münchens leisten zu können. Der Anstieg der überschuldeten Haushalte ist kein Landkreis-Phänomen, es gilt für ganz Deutschland, wo mittlerweile jeder Zehnte Probleme mit Schulden hat. Da ist es eine gute Sache, dass es Schuldnerberatungen gibt, die ohne Ansehen der Person ein umfangreiches Hilfsnetz ausbreiten.

Denn meist gibt es ja nicht die eine Ursache, die dazu führt, dass jemand in die Schuldenfalle tappt. Schuldnerberatungen können bei der Person selbst ansetzen und eine individuelle Lösung ausarbeiten, und sie wissen, wo es staatliche Hilfen gibt. Andererseits ist es beschämend, wenn in Zeiten guter Konjunktur immer mehr Menschen trotz Vollzeitarbeit nicht genügend verdienen, um ihr Leben von ihrem Lohn zu finanzieren. Die Wissenschaftler haben für diese Menschen mit Niedrigeinkommen einen Namen: Sie sprechen von den "working poor". Ihr Anteil hat sich zwischen 2004 und 2014 auf 9,6 Prozent verdoppelt.

Sicherlich kann die Schuldnerberatung dem Einzelnen helfen, seine Finanzen auf den Prüfstand zu stellen und Sparpotenziale zu finden. Vielleicht braucht der eine tatsächlich keine teure Rechtsschutzversicherung, oder der andere könnte statt in der Kantine zu essen seine Brotzeit mitnehmen. Aber das Problem als solches wird dadurch nicht gelöst. Denn hauptsächlich sind es die teuren Mieten, die die Menschen zur Verzweiflung treiben. Eine ganz normale Familie beispielsweise - Doppelverdiener, die sich zumindest ab und zu einen kleinen Luxus leisten konnten - kann schon in Schwierigkeiten geraten, wenn Nachwuchs kommt. Dann fällt ein Teil des Gehalts weg, und das Budget wird gleich viel kleiner.

So lange es kein entsprechendes Angebot an bezahlbaren Wohnungen in den Ballungsgebieten gibt, wird die Arbeit der Schuldnerberatungen wohl nicht weniger. Auch ist es schier unanständig, dass Menschen mehrere Jobs annehmen müssen, um hier leben zu können, weil ihr Gehalt nicht reicht. Das birgt sozialen Sprengstoff, den auch eine Schuldnerberatung nicht aus der Welt schaffen kann.

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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