Kommentar:Recht auf Realsatire

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In der Begründung ihrer Ablehnung einer Lärmschutzdemo auf der Autobahn hat das Münchner Landratsamt mal eben ein neues Grundrecht erfunden

Von Lars Brunckhorst

Kleiner Test in Staatsbürgerkunde: Welche Grundrechte schützt das Grundgesetz? Richtig: die Menschenwürde, die Meinungsfreiheit, die Glaubensfreiheit, das Recht auf informelle und sexuelle Selbstbestimmung und noch eine ganze Menge Freiheiten und Rechte mehr. Einschließlich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie - wenn auch mittlerweile ziemlich eingeschränkt - des Asylrechts sind in insgesamt 19 Artikeln die Grundrechte festgelegt, die für alle Staatsgewalt bindend sind. Das Recht auf freie Fahrt, staufreie Straßen und schnelles Ankommen am Reiseziel ist nicht darunter.

Das Landratsamt München hat dennoch eine Demonstration auf der Giesinger Autobahn genau mit diesen Gründen verboten. Der Bescheid liest sich wie eine Realsatire: "Die Sperrung würde die (Grund-) Rechte der Verkehrsteilnehmer berühren, die die A 995 entsprechend ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung nutzen wollen, nämlich um schnell von einem Ort zu anderen zu gelangen." Mal abgesehen von der sprachlichen Holprigkeit: Dieses "Grundrecht" des Autofahrers wird auch regelmäßig tangiert, wenn eine Autobahn wegen Bauarbeiten, Unfällen oder Ferienrückreiseverkehrs behindert wird.

Doch die Juristen im Landratsamt sind ausgefuchste Leute, deshalb schieben sie in ihrer dreieinhalbseitigen Begründung sicherheitshalber weitere Argumente hinterher: Autobahnen dürften nur mit Kraftfahrzeugen benutzt werden, "deren durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit mehr als 60 km/h beträgt". Pech für alle Demonstranten, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad anrücken! Das zweifellos zündendste Argument aber ist: Mit der Demo auf der Autobahn würden gerade "nicht mehr Adressaten der Meinungskundgabe erreicht, da die Verkehrsteilnehmer ja weiträumig umgeleitet werden müssten und gar nicht mit der Versammlung in Kontakt kämen". Im Gegenteil, so die Behörde: Die Öffentlichkeitswirkung der Demo wäre sehr gering, da auf der Autobahn "naturgemäß keine Fußgänger oder Radfahrer in der Nähe sind, die die Meinungskundgabe hören oder lesen können".

Rührend, diese Fürsorge um die Organisatoren der Demonstration, möchte man meinen. Denen bleibt jetzt nur die Hoffnung auf das Verwaltungsgericht und darauf, dass dieses einem anderen Grundrecht zu seinem Recht verhilft: dem Versammlungsrecht. Das steht - anders als das vermeintliche Recht auf freie Fahrt - in Artikel 8 des Grundgesetzes.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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