Kommentar:Mehr Mut zur Höhe

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Die festgelegten Maße von Häusern sind mittlerweile vollkommen aus der Zeit gefallen

Von Martin Mühlfenzl

Die Diskussion, wie hoch gebaut werden soll, ist in München gerade wieder wegen zwei 155 Meter hoher Türme in Gang gekommen, die das Architekturbüro Herzog & de Meuron an der alten Paketposthalle errichten will. 155 Meter! Das sind exakt 56 Meter mehr, als der erfolgreiche Bürgerentscheid aus dem Jahr 2004 erlaubt, der aber längst nicht mehr bindend ist. Wie auch jener aus dem Jahr 2012 in Unterschleißheim, der die Grenze bei 50 Metern festsetzte. Beides Maße, die mittlerweile vollkommen aus der Zeit gefallen sind. Wie in der Stadt muss auch im Landkreis München heute mutig in die Höhe gedacht wird.

Natürlich geht es in erster Linie darum, dem Wahnsinn auf dem Wohnungsmarkt etwas entgegenzusetzen. Der Druck ist - angefeuert durch die Profitgier von Immobilienspekulanten und die Untätigkeit der großen Politik - mittlerweile derart groß, dass Städte und Gemeinden im Landkreis wie manch Viertel in der Landeshauptstadt zur Spielwiese für Superreiche, Zweckentfremder und Abzocker zu verkommen drohen. Wenn sich jedoch Normal- und Geringverdiener das Leben hier nicht mehr leisten können, verlieren die Kommunen ihr Gesicht, ihre Identität, ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Argument, im so dicht besiedelten und an Flächen armen Landkreis München die Lösung in der Nachverdichtung und höheren Bauten zu suchen, wiegt daher schwerer als die Angst vor nachhaltigen Veränderungen im Stadt- oder Ortsbild.

Ohnehin ist die Zeit mehr als reif, sich von althergebrachten Vorstellungen zu verabschieden, das Umland sei ein noch ländlich geprägter Raum, der mit dem urbanen Leben in München nichts zu tun hat. Unterschleißheim ist eine Stadt, die wächst, prosperiert und pulsiert - wie auch Ottobrunn, Garching oder Unterhaching. Wo, wenn nicht hier, ist die Chance größer, städtebaulich, architektonisch und stilistisch Neues zu erproben? Ein 70 Meter hoher Turm innerhalb eines modernen, lebenswerten und schönen neuen Viertels ist kein Frevel mehr. Unterschleißheim sollte sich etwas trauen.

© SZ vom 31.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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