Kommentar:Mehr als eine Spinnerei

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Vor einigen Jahren wäre der Ruf nach kostenlosem Nahverkehr als weltfremd abgetan worden. Heute sind solche Ideen mehrheitsfähig - weil alle wissen, dass etwas passieren muss

Von Bernhard Lohr

Die Zeit ist reif für mutige Schritte. Noch vor einigen Jahren hätten die meisten müde abgewunken oder den Kopf geschüttelt, wenn von Seiten der Grünen der Vorschlag gekommen wäre, Busfahren kostenlos zu machen. Es wäre als Träumerei abgetan worden, als kostspieliger Vorstoß, typisch für die Ökopartei. Doch mittlerweile rennen die Grünen mit solchen Ideen bei allen Parteien offene Türen ein. Der Vorschlag ihres Kirchheimer Gemeinderats Rüdiger Zwarg, Fahrgäste am Ort ohne Fahrschein fahren zu lassen, hätte genauso gut von einem Vertreter von CSU, SPD oder Freien kommen können.

Beim Verkehr geht es längst nicht mehr um Parteipolitik. Autofahrer erleben, wie sich die Lage auf den Straßen mehr und mehr verschärft. Jeder ist betroffen, jeder kann mitreden. Der Handlungsdruck in den Rathäusern erhöht sich von Tag zu Tag. Er ist messbar in Staukilometern und bestimmt längst die Politik im Osten von München. Die Bürgermeister tun sich deshalb zusammen und entwickeln Ideen, die bis vor kurzem als revolutionär galten. Am Montag ging in einer konzertierten Aktion von Putzbrunn, Grasbrunn, Haar, Feldkirchen und Vaterstetten ein Schreiben an Landrat Christoph Göbel, in dem eine Stadt-Umland-Bahn auf der Trasse der B 471 vorgeschlagen wurde. Am selben Tag zeigten sich Kirchheimer Gemeinderäte jeglicher Couleur angetan von der Idee kostenloser Busse. Man darf gespannt sein, was als nächstes kommt.

Zunächst haben die Kirchheimer einen interessanten Beitrag in der Debatte geliefert, Bus und Bahn attraktiver zu machen. Die Gemeinde wäre womöglich bereit, dafür Steuermittel in die Hand zu nehmen. Benachbarte Kommunen sollen mit ins Boot geholt werden. Das klingt alles sehr ambitioniert - und ist doch keine Spinnerei. Es ist richtig, mit kleinen, ehrgeizigen Schritten das große Ziel anzugehen, die Fixierung aufs eigene Auto zu überwinden. Genauso wichtig wie der Ticketpreis ist dabei die Qualität des Angebots. Wer viel Zeit an Haltestellen verbringt, wird sich wieder mit dem Auto in den Stau stellen. Auch Zeit ist Geld.

© SZ vom 11.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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