Kommentar:Ein starkes Symbol

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Die Gemeinde Haar stellt sich endlich ihrer bedrückenden Vergangenheit und benennt eine Straße nach einem Mädchen, das von gewissenlosen Ärzten während der NS-Zeit ermordet wurde

Von Bernhard Lohr

Der Haarer Gemeinderat hat mit seinem Beschluss zur Benennung von Straßen eine Sternstunde erlebt. Das Gremium wurde seiner historischen Verantwortung gerecht und rang sich in der wichtigen Frage, wie mit dem düsteren NS-Erbe am Ort umgegangen werden soll, zu einer mutigen Entscheidung durch. Die Gemeinde will offensiv mit ihrer bedrückenden Vergangenheit umgehen. Kein Herumdrucksen mehr, kein Verstecken der Gräuel. Im Gegenteil: Eine Straße wird nach einem Mädchen benannt, das gewissenlose Ärzte 1944 mit 14 Jahren umbrachten. Und an dieser Straße wird es eine Kindertagesstätte geben. Was für ein starkes Symbol.

Diese Entscheidung lässt geradezu in den Hintergrund rücken, dass der Gemeinderat auch einen schweren Fehler korrigiert hat. Noch 1976 wurde auf Bitten des Bezirks dem Arzt Anton Edler von Braunmühl die Ehre zuteil, dass eine Straße nach ihm benannt wurde, obwohl dieser als in der NS-Zeit belastet galt und nach dem Krieg als Klinikchef in Eglfing-Haar ein "Weiter so" propagiert hatte. Lange wollte keiner hinschauen, was zwischen 1933 und 1945 in der Psychiatrie passiert war. Die Tatsache, dass die Psychiatrie mit ihren Instituten und klinischen Einrichtungen einen Kosmos für sich bildet, beförderte dieses Wegschauen. Das gilt bis heute. Erst langsam wird die NS-Zeit aufgearbeitet. So wird ganz aktuell über die Rolle des Wiener Kinderarztes Hans Asperger im Nationalsozialismus diskutiert, der bisher als Freund der Schwachen galt. Auch er soll junge Patienten in den Tod geschickt haben, weil deren Leben nichts galt. Der Fall erinnert an Braunmühl.

Die Psychiatrie muss sich auf dem Weg in die Zukunft von ihren dunklen Geistern lösen. Sie muss neue Vorbilder kreieren und sich an hohen ethischen Standards ausrichten. Dazu gehört das offene Eingeständnis, dass sich ein Großteil der Ärztegeneration zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf einen schrecklichen Irrpfad begeben hat. Es begann schon vor den Nationalsozialisten, dass Ärzte Patienten aussortierten und etwa Zwangssterilisation propagierten. Nach 1945 war der Ungeist keineswegs verschwunden. Personell herrschte oft Kontinuität. Dem Bezirk und der Klinik ist zu wünschen, dass sie mit der Gemeinde an ihrem neuen Kurs festhalten. Die Kindertagesstätte an der Edith-Hecht-Straße ist Symbol dafür, dass nur aus einem souveränen Umgang mit einer belasteten Vergangenheit Gutes für die Zukunft erwächst.

© SZ vom 29.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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