Kommentar:Den Wandel längst vollzogen

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Die CSU-Lokalpolitiker an der Basis sind in der Flüchtlingsfrage viel weiter als Seehofer und sein Kabinett

Von Martin Mühlfenzl

Ob Lion Feuchtwanger, der große Staatenlose, heute wieder so über sein geliebtes Bayern und dessen Menschen schreiben würde? Mit Blick - vor allem jenem von außen - auf die Führungsriege der CSU wüsste der große Literat sicher zu berichten: "Die Bayern knurrten, sie wollten leben wie bisher, breit, laut, in ihrem schönen Land." Weiter heißt es in Feuchtwangers Roman Erfolg: "Sie waren zufrieden, wie es war. Die Zugreisten sollten sie in Ruhe lassen, die Schlawiner, die Saupreussen, die Affen, die gselchten."

Nein, der Begriff "Affe" kommt keinem in der Partei, die auch heute noch die Geschicke des Freistaats lenkt, über die Lippen. Das ist schon unterstes Stammtischniveau - und die Seehofers und Söders wollen die Stammtische zwar bedienen, aber das mit einem Mindestmaß an Niveau. Dennoch wird immer mehr deutlich, dass sich die Tonlage in der CSU beim Thema Flüchtlinge verschiebt - und zwar in zwei Richtungen. Während die Freistaats-Lenker verschärft schärfere Töne anschlagen, solidarisieren sich jene, die Entscheidungen in den Kommunen und Landkreisen treffen müssen, mit den Schutzsuchenden und versuchen Vertrauen und Verständnis unter den Bayern aufzubauen.

Stefan Schelle, Bürgermeister in Oberhaching und rein vom Äußerlichen her ein bayerischer Prototyp Feuchtwanger'schen Ausmaßes, will vom Untergang des Abendlandes nichts wissen. Egoismen und Gleichgültigkeit würden diesen vielmehr heraufbeschwören. Das gelte auch, wenn die Blasmusik zum Empfang von Flüchtlingen spiele und Willkommensschilder hochgehalten würden, danach aber keiner mehr da sei, um sich zu kümmern. Schelle darf das sagen, denn er kümmert sich; wie so viele Bürgermeister und Landräte der CSU.

Die Flüchtlinge würden die Statik des Landes verändern, hat Bayerns Finanzminister Söder gesagt. Was er nicht gesagt hat, ist, dass dieses Thema auch die CSU verändern wird. An der Basis wird nicht mehr darüber nachgedacht, wie zufrieden alle einst waren - oder dass alles so bleiben könnte. Schlawiner wie Stefan Schelle haben längst erkannt, dass sich Bayern längst verändert hat.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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