Kleines Theater:Böse Tunte

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Geiz findet er ungeil, genau so wie Leute, die unglaublich viel essen können, ohne dick zu werden: Ole Lehmann. (Foto: Angelika Bardehle)

Comedian Ole Lehmann zeigt sich in Haar so maliziös wie selbstkokett - und vor allem sehr unterhaltsam

Von Udo Watter, Haar

Wahrscheinlich kennt fast jeder in seinem Umfeld einen dieser privilegierten Menschen, die noch so fettes Zeug in sich reinschaufeln können, ohne auch nur den Hauch einer Speckfalte um die Hüften zu bekommen. Wenn diese Leute dann mit einer Mischung aus Dummstolz und Koketterie den Satz formulieren "Ich kann essen was ich will, aber ich nehme einfach nicht zu", dann empfinden die in dieser Hinsicht weniger Privilegierten selten uneingeschränkte Mitfreude. Ole Lehmann läuft jedenfalls eher zu boshafter Hochform auf und kontert auf seine Art: "Sagen solche Menschen dann auch: Ich kann lesen, was ich will . . .". Dass das Publikum im Kleinen Theater Haar an dieser Stelle quasi stante pede lacht, verschafft ihm veritablen Respekt bei dem Berliner Comedian: Das Auditorium denkt mit, Chapeau! Die frotzelnd-charmante Interaktion mit dem Publikum gehört ohnehin dazu, wenn Ole Lehmann, seines Zeichens Comedian, Moderator, DJ, Musicaldarsteller, Regisseur - also eine Rampensau vor dem Herrn - die Bühne betritt.

Dem 1969 in Hamburg geborenen, aber schon lange in Berlin lebenden Künstler, oblag es, mit seinem Programm "Geiz ist ungeil - So muss Leben", die neue Spielzeit im Kleinen Theater Haar zu eröffnen. Und gleich zu Beginn seiner Show spielte ebenfalls das Thema "Essen" eine Rolle. Lehmann enthüllte da nämlich Erstaunliches: "Ja, es stimmt. Ich bin . . . Fleischesser." Diese Offenbarung war freilich nicht das, woraufhin er das Publikum in punkto Duktus und Körpersprache gelockt hatte. "Ja, und 'ne Schwuchtel bin ich auch", konstatierte Lehmann, der offen schwul lebt und etwa schon öfter beim Berliner Christopher Street Day moderiert hat. Seine nonchalante Ankündigung, einen Gespielen für die Nacht aus dem Publikum mitzunehmen, machte der 47-Jährige zwar - so weit bekannt - nicht wahr, aber das Thema "schwul" flanierte als lockeres Leitmotiv mit frivolen Nebengeräuschen durch den Abend. Nach Witzen, die in ihrer Schamfreiheit das Niveaubewusstsein des seriösen Bildungsbürgers beleidigt haben könnten, geißelte sich Lehmann kokett selbst: "Böse Tunte, böse Tunte."

Auch wenn er es damit mitunter einen Tick übertrieb, zeigte sich Lehmann insgesamt als großartiger Entertainer, der auf charmante Art einen unterhaltsamen Dreiklang aus Herz, Hirn und Humor schuf. Man kann zwar nicht sagen, dass der Stand-up-Comedian den Titel seines Programms besonders stringent oder dramaturgisch ausgefeilt durch den Abend transportiert hätte. Klassisch aufgebautes Kabarett findet Lehman eher langweilig. Er dagegen setzt sich mit idiotischem Konsumverhalten oder den Banalitäten der Werbewelt im Lauf des Abends immer wieder mal auseinander, ohne dass es eine große narrative Klammer geben würde. Aber das ist eben oft sehr kurzweilig, klug, pointiert, und, ja, bei allen Boshaftigkeiten gegenüber eitlen Promis oder perfiden Werbern, letztlich mit viel Empathie vorgetragen. Statt Geiz geil zu finden, regt er zur Großzügigkeit an, zu entspanntem Konsumverhalten, zu mehr Humor - und der soll ruhig auch gegen Minderheiten gehen. Immerhin sei es Sinn eines Witzes, sich über jemanden lustig zu machen, und die befreiende Kraft von Humor eröffnet sich halt eher jenseits von politisch-korrekter Verkniffenheit. Der vergnügliche Abend lebte zudem davon, dass der multitalentierte Künstler auch seine Begabung als Sänger und Tänzer mit 80er-Jahre-Songs zeigt sowie seine parodistische Klasse. Ob als Heidi Klum, Reiner Calmund, ob als türkisches Zigarettenbürscherl oder Wiener Ungustl, der seinen Schmäh versprüht - Lehmann schafft es, dass man ihm in jeder Rolle folgt, mal über, mal unter Niveau lachend. "Das ist mein Abend, ich kann machen, was ich will", erklärte er augenzwinkernd und das war auch gut so.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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