Kläranlagen:Der Bumerang-Effekt

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Rückstände von Medikamenten und Mikroplastik nehmen zu. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Anlagen des Abwasserentsorgers VE München Ost müssen erweitert werden. Arzneirückstände und Mikroplastik im Abwasser nehmen stetig zu

Von Johanna Feckl, Haar/Poing

Thilo Kopmann erzählt eine Geschichte von Fischen. Und davon, dass in Gewässern immer mehr Weibchen und immer weniger Männchen umherschwimmen. Wasser in Seen und Flüssen enthält nämlich stetig mehr Mengen des weiblichen Sexualhormons Östrogen - ein Bestandteil der meisten Antibabypillen - und das führt dazu, dass sich bei Männchen die Geschlechtsorgane zurückbilden. Mit so wenigen Männchen wird es schwierig mit der Fortpflanzung.

"Alles, was wir weggeben, bekommen wir wieder zurück - wie ein Bumerang", sagt Kopmann. Seit November 2015 ist er der Vorsitzende des Kommunalunternehmens Ver- und Entsorgung (VE) München Ost, das in 13 Gemeinden in den Landkreisen Ebersberg, Erding und München für die Abwasserentsorgung zuständig ist; sieben der Kommunen versorgt der VE München Ost auch mit Trinkwasser. Aktuell ist die Kläranlage der VE München Ost auf 135 000 Menschen ausgelegt. Das wird bald schon nicht mehr ausreichen, denn es drängen immer mehr Leute in die Region. Deshalb wird vom kommendem Frühjahr an die Kläranlage für 13 bis 15 Millionen Euro ausgebaut. Danach wird sie bis zu 200 000 Einwohner versorgen können.

Laut Kopmann finden sich im Abwasser Rückstände der Antibabypille; Kläranlagen schaffen es allerdings nicht, diese Hormone vollständig herauszufiltern. Also landen sie in Gewässern. Männliche und weibliche Fische bekommen dadurch erhöhte Östrogenwerte, woraus folgt, dass sich männliche Geschlechtsorgane zurückbilden. Ein Problem für den Artenerhalt - und für jene Menschen, die unbemerkt das Hormon wieder zu sich nehmen, wenn sie solche Fische essen.

Thilo Kopmann schirmt sich die Augen mit seiner rechten Hand vor der Sonne ab. Er steht vor einem Gebäude auf der Kläranlage der VE München Ost in Neufinsing. Abwasser, das die Kläranlage erreicht, fließt gleich zu Beginn durch große Rechen: Grobe Verschmutzungen wie Wattestäbchen, Tampons oder Feuchttücher werden herausgefiltert, wie bei einem Sieb. Diese Stoffe landen in Containern. Sechs bis sieben Tonnen. Jede Woche. Erfrischungs- und Abschminktücher oder feuchtes Toilettenpapier bestehen aus so festen Fasern, dass sie sich anders als herkömmliches Toilettenpapier in Wasser nicht auflösen, wie Kopmann erklärt.

Organische Stoffe sind kein Problem - zumindest kein technisches. Auch nicht mineralische wie Fette, die beispielsweise durch das Abspülen einer Bratpfanne ins Abwasser gelangen. Solche Substanzen werden im Sand- und Fettfang abgesondert. Klar würde es den Arbeitsaufwand erleichtern, wenn man Fett im Abwasser reduzieren würde. Man könnte etwa mit einer Küchenrolle den Großteil des Fettes schon einmal aufsaugt, bevor man mit dem eigentlichen Abspülen beginnt, erklärt Kopmann. Geringerer Arbeitsaufwand könnte in letzter Konsequenz geringere Kosten für den Verbraucher bedeuten. Aktuell zahlen Kunden der VE München Ost 2,14 Euro pro 1000 Liter Abwasser. Nach dem Sand- und Fettfang folgen weitere Becken, in denen viele Dinge passieren, die mit Chemie, Biologie und Physik zu tun haben: das Vorklärbecken, das Belebungsbecken, das Nachklärbecken.

Die Menge der festen Stoffe, die ins Abwasser gelangen, nehme seit einiger Zeit zwar ab, sagt Kopmann. Trotzdem steigt der Grad der Verschmutzung - durch Medikamente und Mikroplastik: Immer mehr Menschen nehmen immer mehr Arzneien, und diese werden zu Teilen auch wieder ausgeschieden. Auch beim Duschen gelangen Plastikteilchen durch den Abfluss ins Abwasser. Mikroplastik findet sich in den meisten Hygieneprodukten, in Shampoos, Zahnpastas, in Make-up und Cremes. Aber auch durch Wäschewaschen gelangt Mikroplastik ins Abwasser. Funktionskleidung enthält Plastikteilchen, damit sie atmungsaktiv und schnelltrocknend ist. Bei jedem Waschgang werden geringe Mengen davon herausgewaschen.

Das große Problem mit diesen Rückständen: "Wir können das alles messen, aber es gibt noch keine Technik, um die Stoffe komplett herauszufiltern", sagt Kopmann. Es gebe zwar sogenannte Aktivkohlefilter, die einen Teil der Überbleibsel selektieren können, aber die Kosten für solche Filter sind siebenstellig. Und deshalb kommt es zum Bumerang-Effekt: Die Spurenstoffe rutschen durch sämtliche Filter der Kläranlagen und gelangen über Nahrung und Flüssigkeiten wieder in den menschlichen Organismus zurück. Wie gefährlich ein solcher Kreislauf für den Menschen ist, kann niemand abschätzen. "Wir wissen also noch gar nicht, wohin die Reise geht", sagt Kopmann. Er weiß aber, dass es sich bei Kläranlagen um Arbeitsbereiche mit Karrierechancen handelt. Die gesamte Branche stehe vor der Herausforderung, wie man dieser neuen Form der Verschmutzung begegnen kann. Trotzdem hat Kopmann in jedem Jahr Ausbildungsplätze, die er mangels Bewerbungen nicht besetzen kann.

© SZ vom 04.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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