Kino und Corona:Zeit zum Sterben?

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Kinobetreiber Stefan Stefanov. (Foto: privat)

Stefan Stefanov, der Betreiber des "Capitol" in Unterschleißheim, sieht durch die verschärften Corona-Regeln das Kulturgut Kino gefährdet

Von Udo Watter, Unterschleißheim

Eine Zeitlang sah es so aus, als könne James Bond die Welt retten - und das Kino. Unterstützt von deutschen Komödien ("Kaiserschmarrndrama") oder amerikanischen Blockbustern ("Dune") lockte 007 in den vergangenen Monaten viele Menschen in die Lichtspielhäuser und vor die große Leinwand: Panoramagefühle und Popcorn.

Die Gefährdungslage spitzt sich jetzt aber wieder dramatisch zu. "Das Kulturgut Kino ist in Lebensgefahr", glaubt Stefan Stefanov, Betreiber des "Capitol"-Kinos im Unterschleißheimer Ortsteil Lohhof. Nach den jüngsten politischen Entscheidungen gibt es in Bayern zwar keinen kompletten Kultur-Lockdown, aber von Mittwoch, 24. November, an gilt 2-G-plus: Zugang also auch für Geimpfte und Genesene nur noch mit aktuellem Test. "Für uns ist das wie ein Lockdown", urteilt Stefanov.

Generell dürfen Kultur- und Sportveranstaltungen nur noch in deutlich kleinerem Rahmen stattfinden: mit einer Auslastung von maximal 25 Prozent an Zuschauern. "Vielleicht liegen die Kinos auch bald auf den Intensivbetten", so Stefanov und fragt: "Wie soll das gehen?" Schon in den vergangenen Wochen war die Resonanz bei ihm deutlich rückläufig, für wenige Unentwegte das Haus zu öffnen, wäre ein großer, wohl unverhältnismäßiger Aufwand, allein schon wegen der Heizungskosten und des personellen Einsatzes. Eine Teststation könne ein kleines Haus wie das "Capitol" nicht anbieten. "Wirtschaftlich ist das ein Desaster", klagt Stefanov.

Eine Zwangsschließung wäre ihm fast lieber und er überlegt, nur noch am Wochenende die Pforten zu öffnen. Dabei waren die Monate September und Oktober (unter anderem dank Agent Bond und Ermittler Eberhofer) sehr gut. "Wir sind eigentlich eine gesunde Branche." Und eben nicht gesundheitsgefährdend, wie er betont: "Unsere Hygienekonzepte haben funktioniert." Seit Juni seien rund 7000 Zuschauer im "Capitol" gewesen. Er wisse von keinem, der sich dort infiziert hätte. "Es gab keinen Anruf vom Gesundheitsamt." Stefanov, der auch mit dem städtischen Kulturamt zusammenarbeitet, verweist auf eine aktuelle Mitteilung des Programmkinoverbands "AG Kino - Gilde deutscher Filmkunsttheater", bei dem auch das Lohhofer "Capitol" Mitglied ist.

"Kinos haben das geleistet, was große Flughäfen und Bahnanbieter angeblich nicht können: jeden einzelnen Gast zu kontrollieren. Nun soll die Kultur als Sündenbock dafür herhalten, dass andere Bereiche ihrer Kontrollpflicht nicht nachkommen", so Christian Bräuer, Vorsitzender des Verbands. Zahlreiche Studien hätten belegt, dass Kinos und Theater sichere Orte sind. Dies zeige auch die Auswertung der Daten der Luca-App, dass Kulturorte einen Bruchteil der Warnungen ausmachen, wohingegen das Feld mit Abstand von Bars, Clubs und Restaurants angeführt werde. Neben der gewissenhaften Umsetzung der Maßnahmen spielt in den Kinos eine Rolle, dass das Publikum weitgehend ruhig und kommunikationsfrei einer Vorstellung beiwohnt. Viele Betreiber, wie auch Stefanov, haben sich zudem Luftreinigungsanlagen zugelegt.

In dem Schreiben der AG Kino erklärt Bräuer weiter: "Die Kinos haben es gerade wieder geschafft, ansatzweise auf die eigenen Beine zu kommen. Unverhältnismäßige Auflagen wie 2-G-plus oder gar erneute Schließungen wären für viele verhängnisvoll." Das Verhängnis rückt näher oder ist schon da. Natürlich wäre gerade auch das Weihnachtsgeschäft für Lichtspieltheater wichtig. "Wir sind müde", so Stefanov, der für sein anspruchsvolles Kino-Programm 2016 mit dem Tassilo-Preis der SZ ausgezeichnet wurde. Im Moment zeigt er unter anderem "The French Dispatch" von Wes Anderson - ein Film wie gemalt für das Arthouse-Stammpublikum des "Capitol". Die Nachfrage wird wohl trotzdem suboptimal sein. "Die Sorge ist groß", sagt Stefanov, auch um die Mitarbeiter.

Was würde Bond sagen? Keine Zeit zum Sterben? Stirb an einem anderen Tag? Der Morgen und das Kino sterben nie? Nun, als Kulturgut wird das Kino in seiner Gesamtheit wahrscheinlich überleben, aber viele Betreiber brauchen jetzt mehr als ein Quantum Trost. Selbst der sonst immer so energiegeladene Stefanov.

© SZ vom 22.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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