Lesung über ein Kriegsverbrechen in Haar:Ein neues Kapitel

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Alessandro Eugeni hat den Scheungraber-Prozess in München verfolgt und dann sein Buch geschrieben. (Foto: Claus Schunk)

Alessandro Eugeni hat ein Buch über das Massaker in Falzano di Cortona geschrieben. In dem italienischen Ort hatten im Juni 1944 deutsche Soldaten nach einem Partisanenangriff elf Zivilisten in ein Bauernhaus gesperrt und in die Luft gesprengt. Nun spricht der Autor bei einer Lesung in Haar über Versöhnung nach dem Kriegsverbrechen von Falzano.

Von Christina Jackson, Haar/Ottobrunn

In den vergangenen Jahren verbrachte Alessandro Eugeni viel Zeit am Landgericht München. Er verfolgte einst den Mordprozess gegen Josef Scheungraber und machte Bekanntschaft mit Richter Manfred Götzl. Am Rande des NSU-Prozesses, den Götzl mittlerweile führt, begegneten sich beide wieder, und Eugeni übergab dem Juristen sein Werk mit einer Signatur. Götzl gehört zu den frühen Lesern des Buchs "Der Schreiner von Ottobrunn", in dem Eugeni das Massaker in Falzano di Cortona aufgearbeitet hat. In dem italienischen Ort hatten im Juni 1944 Soldaten aus Scheungrabers Kompanie nach einem Partisanenangriff elf Zivilisten in ein Bauernhaus gesperrt und in die Luft gesprengt. Der 15-jährige Gino Massetti überlebte schwer verletzt.

Als der Prozess gegen den Ottobrunner Scheungraber 2008 eröffnet wurde, sagte der Überlebende in München aus. Der Moment veränderte das Leben von Gerichtsbeobachter Eugeni: "Diese Begegnung mit Massetti hat das Buch ins Leben gerufen", sagte er jetzt in Haar, wo er auf Einladung der Volkshochschule eine erweiterte Fassung des Buchs präsentierte.

Die Besucher der Lesung hatten dabei Gelegenheit, einen Blick auf jenen Mann zu werfen, der als Jugendlicher miterlebte, wie zehn Menschen an seiner Seite starben. Eugeni zeigte Fotos an der Wand des Kursraumes. Sie dokumentieren die kürzlich erfolgte Visite einer Ottobrunner Delegation am Ort des Massakers. Zwischen den deutschen Gästen steht Massetti aufrecht, den Blick starr geradeaus. Die Bilder stehen für die Fortsetzung der Geschichte, wie sie Eugeni bisher erzählt hat. Der Autor wird seine Publikation nach dem deutsch-italienischen Treffen um zwei Kapitel ergänzen.

"Insieme - Zusammen" heißt die Fortschreibung, die sich mit den Begegnungen der jungen Ottobrunner aus der Pfarrei des Geistlichen Christoph Nobs und den italienischen Hinterbliebenen befasst. "Es war ein Wunder, was an diesem Tag 2013 passierte", sagte Eugeni. Zwei Pfarrer aus Italien und Deutschland hielten am Ort des Kriegsverbrechens gemeinsam die Messe. Zahlreiche Menschen waren gekommen, um an das Massaker zu erinnern.

Eine Ottobrunner Begleiterin aus der Pfarrei, die ebenfalls zur Lesung nach Haar gekommen war, berichtete von den Bemühungen, die Nachfahren Scheungrabers zu dem Treffen in Italien einzuladen. Es habe keine Rückmeldung gegeben. Scheungraber selbst hatte nach dem Krieg ein Möbelhaus in Ottobrunn eröffnet, war Ehrenkommandant der Feuerwehr und saß von 1955 bis 1972 im Gemeinderat. Bis zu seiner Verurteilung war er Träger der Bürgermedaille. Die lebenslange Haftstrafe musste der damals 92-jährige Scheungraber nach Prozessende im Jahr 2011 nicht antreten.

Die geschichtlichen Fakten, die Eugeni aus seinem Buch vortrug, ergänzte der Historiker Thomas Schlemmer vom Institut für Zeitgeschichte bei der Lesung in Haar mit Einblicken in die Arbeit der deutsch-italienischen Historikerkommission, der er von 2009 bis 2012 angehörte. Das Expertenteam erforschte die gemeinsame Kriegsvergangenheit, insbesondere hinsichtlich der italienischen Militärinternierten. Zu der aktuellen Diskussion um Entschädigungen etwa für Griechenland wies Schlemmer darauf hin, dass das Land bis 1943 von Italien, erst danach von Deutschland besetzt war. Er machte auch die Dimensionen der deutschen Kriegsverbrechen klar. Das größte Leid mussten die Weißrussen, Ukrainer und Polen erdulden. "Hier wurden Dörfer niedergebrannt, Partisanen und Zivilisten ermordet." Allein in Minsk habe die deutsche Besatzungsmacht 100 000 Einwohner getötet. In den Verhandlungen zur Wiedervereinigung seien mit Zustimmung aller Siegermächte anstelle einer Friedenskonferenz die Zwei-plus-vier-Verhandlungen einberufen worden. Darin habe man die Ablösung der alliierten Sonderrechte festgelegt und alle offenen Fragen als erledigt anerkannt.

Der Besuch der Ottobrunner Jugendgruppe in Falzano wurde in Italien als starke Geste aufgenommen: Pfarrer Christoph Nobs (Mitte) vor der Abfahrt. (Foto: Claus Schunk)

Die binationale Historikerkommission hat es sich darüber hinaus zur Aufgabe gemacht, neben den Kriegsverbrechen die freundschaftlichen Bande zwischen Deutschen und Italienern in der Zeit bis 1945 zu erforschen. Schlemmer: "Wir haben keine Ahnung von Liebesgeschichten in den Kriegsjahren." Deshalb baten die Historiker Menschen im Landkreis, in ihren Kellern und auf Dachböden nach Feldpostbriefen, Tagebüchern und Aufzeichnungen der Großeltern-Generation zu suchen. Ob dieses Material Eingang in eine Publikation finden wird, ist noch ungewiss: Das Geld für Forschung und wissenschaftliche Aufarbeitung fehlt. Fest steht, dass Alessandro Eugeni sein Buch "Il Falegname di Ottobrunn" ("Der Schreiner von Ottobrunn") von 2011 vervollständigen wird. Wann es auf Deutsch erhältlich sein wird, steht noch nicht fest.

© SZ vom 25.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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