Gewalt in der Familie:Drohen, erniedrigen, belästigen

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Bei einer Tagung im Landratsamt wird klar: Häusliche Gewalt beginnt schon, wenn der Partner Psychoterror ausübt. Mit dem Strafrecht kommt man da nicht weit

Von Iris Hilberth

Sie wollte sich trennen. Dann stach er zu. Mit 21 Messerstichen tötete im Februar 2012 ein Mesner in Neubiberg seine Ehefrau vor den Augen der beiden kleinen Kinder. "Ich stech' dich ab", soll auch ein Giesinger 2013 seiner Frau gedroht haben. Er hatte sie geschlagen, das gerichtlich verhängte Kontaktverbot missachtet - und machte dann seine Drohung wahr. Gewalttaten in Partnerschaften werden seit drei Jahren vom BKA gesondert aufgeschlüsselt. 361 versuchte und vollendete Mord- und Totschlag-Delikte an Frauen wurden 2014 gezählt. Bei vielen kannten die Behörden bereits die Vorgeschichte häuslicher Gewalt. Etwa 3000 Anzeigen hat die Münchner Polizei im vergangenen Jahr aufgenommen, von Frauen, die sich bedroht fühlen, die geschlagen und misshandelt wurden, die aus der gemeinsamen Wohnung flüchteten und Angst um ihr Leben haben. Doch das sind nur die Fälle, die bekannt sind, von Frauen, die sich getraut haben, sich zu wehren. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein.

Laut Statistik ist jede vierte Frau in Deutschland gefährdet oder Opfer häuslicher Gewalt. "Zahlen, die jedes Jahr wieder überraschen", wie Landrat Christoph Göbel bei einer Diskussion im Landratsamt anlässlich des Gedenktags "Nein zu Gewalt an Frauen!" sagte. Bei allem was der Landkreis tun kann und will, sei das größte Problem jedoch, dass die Gewalt in vertrauter Umgebung geschehe, "dort, wo man es am wenigsten vermutet". Auch im Landkreis München, fernab von sozialen Brennpunkten, habe er Dinge mitbekommen, die er bei den betroffenen Menschen nicht für möglich gehalten hätte. Der Landkreis tue vieles, um häuslicher Gewalt entgegenzuwirken, von Beratung bis hin zu stationären Hilfen wie Frauenhäusern. Als weiteren, außergewöhnlichen Baustein hätten die Kreisgremien gerade eine Täterberatung beschlossen. "Wir müssen auf die Problematik aufmerksam machen und die Menschen für dieses brisante Thema sensibilisieren", sagte der Landrat.

Häusliche Gewalt gibt es in allen Altersgruppen und allen Schichten. In der Gesellschaft ist es immer noch ein Tabuthema, "es kommt vor, dass ein ganzer Stadtteil wegschaut", sagte Heike Barnes vom Frauennotruf. Hinweise, auch an die Polizei, seien wichtig, "wir nehmen oft selbst Kontakt zu den Opfern auf, und die sind uns meist dankbar für den Anruf", so Kriminalhauptkommissarin Andrea Kleim.

Neben körperlicher Gewalt sei meist auch psychische Gewalt im Spiel, berichtete Maria Weinzierl, Leiterin der Interventionsstelle Landkreis München (ILM). Schlagen, beschimpfen, beleidigen, erniedrigen, drohen, unter Druck setzen, kontrollieren, soziale Kontakte verbieten, Schlüssel wegnehmen, belästigen, vergewaltigen - all das zählt zu häuslicher Gewalt.

"Meist beginnt es schleichend und wird von Frauen zunächst als normal eingestuft", berichtete Alexandra Heidecker vom Sozialdienst katholischer Frauen. Es dauere oft lange, bis Frauen realisierten, dass es sich um Gewalt handele, "und meist haben sie das Gefühl, diese selbst verschuldet zu haben", sagte Heidecker. Laut Weinzierl sind die Frauen häufig gar nicht bereit, sich von ihrem Partner zu trennen. "Sie machen einen Rückzieher, weil sie ja auch die andere Seite des Partners sehen", weiß Heike Barnes vom Frauennotruf. Im Schnitt dauere es acht Jahre, bis sich Frauen aus einer gewalttätigen Beziehung lösen.

Auch für die Justiz sind diese "On-off-Beziehungen" laut Richter Michael Höhne schwierig zu beurteilen. "Einfacher wäre es, wenn sich die Opfer konstanter verhalten", sagte er. Diskussionsteilnehmerinnen warfen der Justiz vor, dass erste Anzeigen von Frauen häufig wegen einer zu niedrigen Gewaltschwelle von der Staatsanwaltschaft fallen gelassen würden, oft komme es aber zu weiteren Taten. Die Justiz stoße da an ihre Grenzen, sagte Richterin Karin Garnreiter, viele Anzeigen erreichten die Gerichte erst gar nicht. Die Frage sei auch immer: Was ist dem Gericht bekannt? Der Austausch und die Abstimmung der verschiedenen Stellen müsse intensiviert werden, so die einhellige Meinung.

Zu den Leidtragenden gehörten auch immer die Kinder, wie die Vertreterinnen der Beratungsstellen berichteten. "Wir bekommen mitunter auch Anrufe von Kindern, die das miterlebt haben und Angst um ihre Mama haben", berichtete die Kriminalhauptkommissarin Kleim. "Deren Schutz kommt oft zu kurz", sagte Barnes, es passiere häufig, dass dem Partner ein unbegleiteter Umgang trotz hoher Gefahrenfaktoren zugestanden werde. Alexandra Heidecker forderte dringend eine Änderung in der Gesetzgebung und bekam Zuspruch von den anderen Diskussionsteilnehmern. Häusliche Gewalt ist nach der aktuellen Rechtslage kein Straftatbestand. Aus dem Strafrecht kennt man physische Gewalt, inzwischen auch Stalking. Unterdrückendes und abwertendes Verhalten ist nicht strafbar.

© SZ vom 01.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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