Gerüchte über Flüchtlinge:"Leute glauben unmöglichste Dinge"

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Nicht erst seit Köln verbreiten sich durch Hörensagen haarsträubende Geschichten über Flüchtlinge. Wie die Polizei darauf reagiert, erklärt Unterhachings Inspektionschef Stefan Schraut

Interview von Iris Hilberth

Flüchtlinge, die angeblich Frauen und Mädchen belästigen, Supermärkte plündern oder Tiere aus dem Streichelzoo stehlen und schlachten - mit der wachsenden Zahl an Fremden im Landkreis nehmen auch die zum Teil haarsträubenden Gerüchte über vermeintliche Straftaten von Asylbewerbern zu. Was ist an dem Gerede dran und wie geht die Polizei damit um? Die Süddeutsche Zeitung sprach darüber mit Stefan Schraut, dem Leiter der Polizeiinspektion Unterhaching, die für die vier Gemeinden Unterhaching, Oberhaching, Taufkirchen und Sauerlach zuständig ist.

SZ: Ernst Weidenbusch, der stellvertretende Landrat von München, hat bei der Eröffnung der Flüchtlingsunterkunft in Taufkirchen gesagt, im Landratsamt reagiere man inzwischen allergisch auf Gerüchte. Die Polizei auch?

Stefan Schraut: Wir reagieren nicht allergisch auf Gerüchte, wir gehen Gerüchten nach. Das ist ja unsere gesetzliche Aufgabe, auch solche Gefahren abzuwehren und mögliche Straftaten zu erkennen und zu verfolgen. Deshalb müssen wir schauen, ob hinter den Gerüchten tatsächlich beispielsweise Straftaten stecken.

Wie sehr sind Sie damit beschäftigt? Hat das zugenommen?

Es hat sicher zugenommen, aber es ist in unserem Bereich bei wenigen geblieben. Wenn man alle Ortschaften und Polizeiinspektionen des Landkreises zusammennimmt, dann kommt schon ein bisschen was zusammen. Aber es hält sich noch in Grenzen.

Laut Landratsamt hat sich keines der Gerüchte in den vergangenen eindreiviertel Jahren bewahrheitet. Können Sie das bestätigen?

Nachdem ich bislang nur mit wenigen Gerüchten konfrontiert worden bin, kann ich das weder bestätigen noch dementieren. Allerdings haben sich die Gerüchte, die bei uns aufgekommen sind, allesamt nicht bewahrheitet.

Können Sie Beispiele nennen?

Es hat wohl in der vergangenen Woche einen Fall gegeben, der sich auf einem Parkplatz vor einem Einkaufsmarkt abgespielt haben soll. Eine Frau soll dort ihre Einkäufe ins Auto geladen, dann den Einkaufswagen zurückgefahren und dabei ihr Auto offen gelassen haben. Als sie zurückkam, saßen angeblich zwei Schwarzafrikaner in dem Auto. Dann seien die Männer wieder gegangen und die Frau soll den Vorfall der Polizei gemeldet haben. Unsere Beamten hätten ihr angeblich den Rat gegeben, sie soll den Männern das nächste Mal zehn Euro geben, damit sie aussteigen. Das ist natürlich ein kompletter Unfug. Wir geben natürlich keinen solchen Ratschlag. Aber das ist genauso wie in Grünwald, wo erzählt wird, dass Ladendiebe von der Polizei ausgelöst würden, indem die Beamten die Waren, die gestohlen wurden, zahlten.

Wie erfahren Sie denn von solchen Gerüchten und wie gehen Sie damit um?

Entweder aus der Zeitung oder über die "Flüsterpost", also wenn Dinge gehört und weitererzählt werden. Meine Frage lautet dann immer: "Wo haben Sie das her?" Ich bitte die Leute auch, zu uns zu kommen, damit wir den Sachverhalt aufnehmen können. Dann kommt regelmäßig zurück: "Da muss ich jetzt noch mal nachfragen, das weiß ich jetzt nicht mehr so genau, weil ich das auch nur von jemandem gehört habe."

Illustration: Dalila Keller (Foto: Dalila Keller)

Es kommt also keiner zu Ihnen und macht konkrete Angaben?

Bis jetzt noch nicht. Mit den Gemeinden stehen wir hier auch ständig in Kontakt. Da kommt dann schon mal die Frage, ob ein Gerücht, das im Umlauf sei, bei uns auch bekannt ist.

Hat sich denn in Bezug auf die Gerüchte seit der Silvesternacht in Köln auch im Landkreis München etwas verändert?

Das stelle ich nicht unbedingt fest. Was die allgemeine Sensibilität angeht, allerdings schon. Und die Verquickung mit der Flüchtlingsproblematik ist offensichtlich.

Tragen die sozialen Netzwerke entscheidend dazu bei?

Gerüchte hat es schon immer gegeben. Aber sie werden heutzutage schneller verbreitet. Die Anonymität der sozialen Netzwerke macht es leicht, ein Gerücht zu verbreiten oder zu kommentieren. Und dann wird letztlich aus nichts irgendwas gemacht.

Haben Sie denn jemals einen Urheber eines solchen Gerüchtes ausmachen können?

Nein. Tatsächlich noch nie, weil die meisten Gerüchte eben schon viele Stationen durchlaufen haben, bis sie zu uns kommen.

Was, denken Sie, sind die Motive, unwahre Tatsachenbehauptungen in die Welt zu setzen?

Das eine ist mit Sicherheit, sich wichtig zu machen. Aber es müssen ja nicht immer böse Motive sein. Es kann auch sein, dass man etwas weitererzählt, um seine Nachbarn und Freunde warnen zu wollen, indem man ihnen sagt: "Ich habe Folgendes gehört, passt bitte auf!"

Dann ist das Gerücht ja schon in der Welt, aber es muss ja einen geben, der sich die Sache ausgedacht hat.

Ich weiß nicht, was in diesen Menschen vorgeht. Außer Wichtigtuerei kann natürlich auch die Absicht dahinter stecken, Ängste zu schüren und Menschen oder Menschengruppen zu diskreditieren.

Was würde denn einem Urheber von Gerüchten drohen, sollte man ihn wirklich finden?

Man müsste erst einmal prüfen, ob Straftaten im Raum stehen. Es gibt Straftaten wie die sogenannte falsche Verdächtigung. Da muss man aber eine konkrete Person bei einer Behörde fälschlich bezichtigen. Oder die üble Nachrede und die Verleumdung. Wenn jemand mutwillig irgendein Gerücht über irgendeinen Sachverhalt in die Welt setzt, können außerdem Kosten auf den Verbreiter zukommen, vor allem dann, wenn die Polizei im Zuge dessen aufwendige Maßnahmen trifft. Wenn man die konkret mit Arbeitsstunden beziffern kann, kann das schon teuer werden.

An vielen Informationsveranstaltungen zur Flüchtlingsunterbringung nehmen Polizeibeamte teil, die Fragen beantworten. Hat sich in den Reaktionen der Bürger auf ihre Auskünfte in den vergangenen Wochen etwas verändert?

Das Interesse in der Bevölkerung ist sicherlich größer geworden. In den Fragen an uns sind die Bürger aber relativ zurückhaltend. Meist werde ich relativ sachlich gefragt. Regelmäßig wollen die Bürger wissen: Bekommt ihr jetzt mehr Personal? Dann antworte ich immer mit dem natürlich lustig gemeinten Satz: Der Bus mit der Personalverstärkung für unsere Dienststelle ist wohl auf dem Weg, aber angekommen ist er noch nicht. Und in der Tat: Mehr werden wir in Unterhaching in absehbarer Zeit sicher nicht. Außerdem werde ich immer wieder gefragt: Könnt ihr das überhaupt noch stemmen?

Unterhachings Polizeichef Stefan Schraut. (Foto: Claus Schunk)

Und können Sie das?

Noch geht es. Diese Aussage werden Sie auch von allen Kollegen hören, und das ist ehrlich gemeint. Denn wir als Polizei sind so konditioniert, alles möglich zu machen. Wir verstehen uns als Problemlöser und fragen weniger, woher das Problem kommt. Denn wir können die Weltpolitik nicht beeinflussen, bei uns stehen die Probleme vor der Tür und darauf müssen wir reagieren. Was aber wirklich stimmt: Wir sind auf Kante genäht. Der Personalstand ist in der Inspektion Unterhaching seit 30 Jahren der gleiche, knapp 60 Beamte im Vierschichtbetrieb für vier Gemeinden. Die Notwendigkeit, Personal momentan woanders hin zu verlagern, sehe ich aber sehr wohl. So macht es natürlich Sinn, etwa die Schleierfahndungsgruppen entsprechend zu verstärken.

Noch mal zurück zu den Folgen von Köln. Haben Sie dadurch auch als Polizist in Unterhaching zunehmend ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Das spüre ich nicht. Wir tun aber auch sehr viel, um mit den Bürgern Kontakt zu halten. Wir fahren ja nicht nur raus, wenn etwas passiert, denn unser Anspruch ist, ständig präsent und sichtbar zu sein. In unserem großen Bereich könnte man natürlich den Eindruck haben, das verlaufe sich. Aber wir sind viel auf Infoveranstaltungen unterwegs, wir bedienen einmal in der Woche den Bürgertreff in Taufkirchen, machen Infostände etwa zum Thema Wohnungseinbruchschutz, bieten Courage-Kurse an und vor allem: Wir verstehen uns als Ansprechpartner für alle Belange des Bürgers. Eine Nichtzuständigkeit gibt es nicht, denn wir sind eine der wenigen Behörden, die rund um die Uhr, 365 Tage die Woche ansprechbar sind. Deshalb denke ich schon, dass die Polizei bei uns ein hohes Ansehen und eine hohe Glaubwürdigkeit besitzt. Dazu gehört aber auch, zuzugeben, wenn etwas schiefgelaufen ist. Ein Glaubwürdigkeitsproblem hatte auch in Köln nicht der einzelne Beamte, sondern meiner Meinung nach die damalige Polizeiführung.

Die Leute verallgemeinern aber leicht.

Das ist richtig. Wir müssen bei uns alle miteinander aufpassen, dass auch die Führungsebenen der Polizei glaubwürdig bleiben. Aber es ist schon ein Wahnsinn, dass die Leute die unmöglichsten Dinge, die auf der Straße behauptet werden, einfach glauben und weitertragen, beispielsweise auch der Polizei vorzuwerfen, dass sie die Menschen belügt.

Wenn aber solche Gerüchte gestreut werden, meinen die Leute auch Beweise dafür zu haben, dass die Polizei unglaubwürdig ist.

Darum müssen wir manchmal auch einen großen Aufwand betreiben und den Gerüchten akribisch nachgehen. Auch wenn sich die Spur oft verliert. Vertrauen wächst bekanntlich langsam, kann aber ganz schnell zerstört werden.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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