Erziehung und Datenschutz:Live aus der Kinderkrippe

Lesezeit: 5 min

Neben analogen hinterlassen selbst Kleinkinder heute schon digitale Fußabdrücke. (Foto: Stephan Rumpf)

Einige Kitas nutzen inzwischen digitale Medien und Apps, um die Entwicklung ihrer Schützlinge für die Eltern zu dokumentieren. Kritiker befürchten, dass Fotos über Umwege im Internet landen könnten

Von Irmengard Gnau, Landkreis

Sarah Müller ist kein Digital Native. Sie steht der übergreifenden Digitalisierung des Alltags mit einer gewissen Skepsis gegenüber, wie sie sagt. Aus diesem Grund möchte die 42-jährige, die eigentlich anders heißt, ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, die auch online erscheint. Vor allem aber will sie ihre Kinder davor schützen, dass Bilder von ihnen unkontrolliert im Internet auftauchen. Genau das aber befürchtet die 42-Jährige, weil die private Kita im Landkreis, in der ihre Zwillinge betreut wurden, eine Handy-App benutzt, um mit den Eltern der Kinder zu kommunizieren. Über die App können die Eltern unter anderem auf Fotos sehen, was ihre Kinder den Tag über in der Krippe so tun; auch Gruppenfotos sind dabei. Was viele Mütter und Väter freut, macht Müller große Sorgen. Denn schließlich, sagt sie, könne sie nicht beeinflussen, was andere Eltern mit den Fotos machen, auf denen ihre Kinder möglicherweise auch zu sehen sind - ob diese sie beispielsweise sorglos in sozialen Online-Netzwerken teilten, während sie selbst sehr darauf bedacht sei, dass ihre Kleinkinder noch keinen digitalen Fußabdruck hinterlassen.

Seit digitale Hilfsmittel Einzug halten in Kinderbetreuungseinrichtungen, stellen sich viele neue Fragen. Dürfen beim Sommerfest des Kindergartens Fotos gemacht werden? Von wem? Und was darf mit diesen Bildern passieren? Was muss ein Träger tun, um datenschutzkonform mit den Aufzeichnungen, die das Personal über die betreuten Gruppen macht, umzugehen? Keine einfachen Fragen. Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen haben grundsätzlich die Aufgabe, zu beobachten, wie sich die ihnen anvertrauten Kinder entwickeln und dies auch zu dokumentieren. Im bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan heißt es dazu: "Beobachtung von Lern- und Entwicklungsprozessen bildet eine wesentliche Grundlage für pädagogisches Handeln in Kindertageseinrichtungen. Aussagekräftige Beobachtungsergebnisse vermitteln Einblicke in das Lernen und in die Entwicklung von Kindern; sie helfen die Qualität von pädagogischen Angeboten zu sichern und weiterzuentwickeln." Mit welchen Mitteln eine Einrichtung das tut, steht ihr dabei frei; Fotos sind ein probates Mittel. Der Bildungsplan mahnt grundsätzlich, nicht leichtfertig mit dieser Aufgabe umzugehen. "Dabei ist die Beobachtung kein Selbstzweck. Wichtig ist eine enge Verknüpfung von Beobachtung und Beobachtungsergebnissen einerseits und pädagogischer Arbeit andererseits", heißt es. Fotos nur zur Freude der Eltern zu machen, ist also nicht vorgesehen.

Hinzu kommt, dass Kinder nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) besonderen Schutz genießen, deswegen ist in ihrem Fall eine besonders gute Abwägung der verschiedenen Interessen gefordert. Das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht (LDA) empfiehlt Einrichtungen, idealerweise mit der Anmeldung eine schriftliche Einwilligungserklärung der Eltern einzuholen: Die Eltern erteilen den Mitarbeitern darin die Erlaubnis, dass sie Fotos von den Kindern machen und diese für bestimmte Zwecke verwenden dürfen. Dabei lässt sich unterscheiden zwischen einer rein internen Veröffentlichung, also zum Beispiel Fotos im Essensraum der Kita aufzuhängen und sie für die Dokumentation der Entwicklung des Kindes zu nutzen, und weitergehenden Veröffentlichungen, zum Beispiel auf der Homepage der Einrichtung.

Mit einer Einwilligungserklärung sollten Eltern und Einrichtungen diese Fragen also eigentlich zu Beginn des Betreuungsjahres klären können. Eine solche Einwilligung hat auch Sarah Müller unterschrieben, als sie ihre Zwillinge in der privaten Kita anmeldete. Sie willigte darin ein, dass die Kita Fotos von ihren Kindern machen und verwenden darf für Aushänge innerhalb der Einrichtung, für die Entwicklungsdokumentation und zur freien Verfügung in der Gruppe. Kompliziert macht das alles nun allerdings der digitale Verbreitungsweg. Es sei ihr nicht bewusst gewesen, dass die Bilder für die Entwicklungsdokumentation digital gespeichert werden, sagt Müller. Sie sei von Portfolio-Ordnern in Papierform ausgegangen. Der Fotonutzung für die Homepage der Kita hat sie bewusst widersprochen. Auch darüber, dass so viele Fotos über die Eltern-App geteilt würden, die die Kita Anfang 2018 eingeführt hat, sei sie sich nicht im Klaren gewesen, sagt Sarah Müller.

Bei der Kita betont man, den Schutz der personenbezogenen Daten der Kinder sehr ernst zu nehmen, "da wir um die Sorgen und Ängste der Eltern wissen und diese aus unserer eigenen Erfahrung als Eltern auch nur zu gut nachvollziehen können". Sowohl für die digitale Portfolio-Dokumentation, als auch für die Eltern-App arbeitet die Kita mit einem dänischen Anbieter zusammen, für den beim Datenschutz die strengen EU-Vorschriften gelten. Der Datenserver steht nach Angaben des Anbieters in der EU und ist ISO-zertifiziert.

Immer mehr Kitas nutzen solche digitalen Hilfsmittel. Allein der dänische Anbieter arbeitet nach eigenen Angaben mit etwa 6000 Einrichtungen in zehn Ländern zusammen, in denen etwa 300 000 Kinder betreut werden. Als Vorteile der digitalen Hilfsmittel nennt die Kita, dass viele Arbeitsschritte schneller und effektiver werden, sich die Dokumentation ausführlicher gestalten lasse und viele organisatorische Themen nicht mehr bei der Übergabe der Kinder am Morgen oder Abend mit den Eltern besprochen werden müssten, sondern einfach über die App mitgeteilt werden. Auch Papierzettel könnten dadurch entfallen. Die private Kita berichtet von durchweg positiven Rückmeldungen der Eltern. Das bayerische Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) untersucht in einem Modellversuch zu Medienkompetenz in der Frühpädagogik aktuell verschiedene Kita-Apps. Als grundsätzliche Erfahrung hält auch Abteilungsleiterin Eva Reichert-Geschhammer vom IFP fest, "dass nach den vorliegenden Erfahrungsberichten aus der Praxis der Mehrwert durch die verschiedenen Kita-Apps in den Einrichtungen so hoch ist, dass sie nicht mehr auf sie verzichten wollen".

Auch das LDA sieht den Einsatz von Eltern-Apps und digitalen Dokumentationen als gerechtfertigt an. Schließlich hätten sowohl die Kita als auch die Eltern der übrigen Kinder ein berechtigtes Interesse für das Anlegen und Pflegen von Portfolios und Verwalten relevanter Daten. Auch datenschutztechnisch sieht das LDA keine Bedenken, wenn eine Eltern-App gut und sicher konfiguriert ist. "Die DSGVO verpflichtet App-Anbieter, für die Sicherheit der Daten zu sorgen. Das bedeutet, dass Apps regelmäßig überprüft werden sollten, Updates unverzüglich eingespielt, Verschlüsselungsmaßnahmen genutzt und Zugriffe durch Unbefugte verhindert werden. Diese Anforderungen gelten nicht nur für Apps, sondern für jede Form der elektronischen Datenverarbeitung", erklärt LDA-Präsident Thomas Kranig. Bei einer App, deren Nutzerkreis klar beschränkt ist, sieht auch Wilfried Schober vom Gemeindetag, der Kommunen in organisatorischen Fragen unter anderem zu Kinderbetreuungseinrichtungen berät, wenig Schwierigkeiten. Dennoch, sagt er: "Es ist immer ein Spagat." Man solle den Datenschutz nicht überbewerten, aber auch Missbrauchsmöglichkeiten in Betracht ziehen. Und im Zweifel "eher zurückhaltend sein".

Das würde sich auch Sarah Müller wünschen. Sie sorgt sich vor allem darum, was mit Gruppenfotos, die ihre Kinder zeigen, passiert, nachdem sie in digitaler Form in die Hände anderer Eltern gelangt sind. Vom Smartphone bis auf Facebook oder Instagram ist es schließlich nur wenige Klicks weit, und das Internet vergisst bekanntlich nicht. "Ich will niemandem seinen Lebensstil vorschreiben, aber auch Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre", sagt Müller. Sie sei "erschüttert, wie sorglos viele Eltern mit diesem Thema umgehen". Zudem habe sie festgestellt, dass ihre Kinder zu Hause viel stärker auf technische Geräte reagierten, seit sie in der Kita regelmäßig mit dem iPad fotografiert werden; eine Tochter posiere plötzlich, wenn sie ihr Telefon nur in die Hand nehme. "Ich will meinen Kindern nicht vermitteln, dass das ganz natürlich dazu gehört."

Sarah Müller hat für sich selbst eine Lehre aus den Erfahrungen gezogen. Die Kita besuchen ihre Zwillinge inzwischen nicht mehr. Bei der Anmeldung im Kindergarten legte sie schriftlich fest, dass von ihren Kindern Fotos nur in ausgedruckter Form verbreitet werden dürfen. "Mit 18 Jahren finden es Kinder vielleicht auch nicht so toll, wenn sie herausfinden, dass sie in ihrem Leben keinen Schritt gemacht haben, ohne dokumentiert zu werden", sagt sie.

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: