Bürgerhaus Pullach:Das Unsichtbare sichtbar machen

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Die Künstlergruppe "Isartal" begibt sich in der Ausstellung "Schritte ins Verborgene" in Pullach auf Spurensuche nach dem Geheimnisvollen. Bei der Eröffnung steht auch die Frage im Fokus, wie weit Kunst mit Worten zu erklären ist

Von Udo Watter, Pullach

Wer ein Geheimnis lüftet, zerstört es. Wer ein Kunstwerk theoretisch bis ins letzte Detail zerlegt, beraubt es seiner Aura. Womöglich hört die Kunst ja bereits in dem Moment auf, in dem sie als solche wahrgenommen wird. Oder anders gesagt: Das Übersetzen von Kunst in Fachtermini erhellt vielleicht den Verstand, verschließt aber die Pforte zum Dunklen, Rätselhaften, Nicht-Fassbaren, das die Faszination eines Werks ausmacht. Die Beschreibung einer Metapher hat ja nicht den Wirkungszauber einer Metapher. Und was schon für Literatur oder Lyrik gilt, gilt das nicht noch mehr für weitgehend sprachlose Phänomene wie Musik und Bildende Kunst?

Kulturamtsleiterin Hannah Stegmayer ging in ihrer Einführung für die Ausstellung "Schritte ins Verborgene" der Künstlergruppe Isartal im Pullacher Bürgerhaus auch diesen Fragen nach. Die programmatische Maxime der Werkschau deutet schon an, dass das Geheimnisvolle, Unbewusste, Hintergründige im Fokus stehen soll. Stegmayer, Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin, ist freilich keine Freundin einer theoretisch unbeleckten, rein intuitiven und quasi von keinem Gedanken angekränkelten Herangehensweise. Bezug nehmend auf einen Begleittext zur Ausstellung von Claudia Pirron, der Leiterin der Gruppe "Isartal", rezitiert sie zwar Goethe: "Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen - deshalb scheint es eine Torheit, Bilder mit Worten erklären zu wollen." Aber dass eine Interpretationsbasis, ein Kontext-Verständnis eben auch nötig sei, daran lässt sie keinen Zweifel. "Man muss über Kunst sprechen. Oder auch nicht", konstatiert sie.

Nun, ihr oblag es zu sprechen, über die sechs Malerinnen der Gruppe "Isartal" - Ingrid Kern, Ingrid Schmidt, Biggi Wiehler, Christiane Krapp, Erna Leiß, Claudia Pirron und den Bildhauer Michael Glatzel sowie über die programmatische Klammer der Werkschau. "Die Ausstellung zitiert die Romantik, sie beschwört das Geheimnis", sagt Stegmayer. Die Sehnsucht nach der blauen Blume, das Verlangen, der aufgeklärten, entzauberten Welt Magie und Mysterium entgegenzusetzen, ist ein mächtiges Impulsfeld. Das Unsichtbare sichtbar machen, es ist Leitmotiv für etliche der ausstellenden Künstlerinnen und es ist quasi ein Analogon zum Dichter Eichendorff, der das "Zauberwort" zu treffen versucht, damit die Welt zu singen anhebt. Pirron sucht es in ihren mehrschichtigen Werken wie "Das unentdeckte Land" oder "Atlantis I und II", in denen die Farben kräftig hervorspringen und die eine plastische Wirkung zeigen. Das Unbewusste wird in teils ungewöhnliche Formen transferiert. "Inhaltlich bleibt sie keine Erklärung schuldig", wie Stegmayer betont - neben ihren Bildern hängen deskriptive Texte, was das Motiv "Geheimnis" eher konterkariert. Pirron, die als umtriebige Vermarkterin ihrer Künstlergruppen auch eine Frau des Wortes ist, erklärt ihre Herangehensweise damit, dass sie den Betrachter durchaus leiten wolle. Wenn sie etwa begleitend zu ihrem Bild "Lake Hillier" das Phänomen beschreibt, dass diesen Salzsee auf einer australischen Insel pinkfarben macht, dann diene das als wesentliche Hilfe bei der Rezeption. Aber natürlich solle letztlich "der Betrachter den Weg selber gehen und es sollen viele Fragezeichen bleiben".

Enigmatischer ist das Erleben der Bilder von Ingrid Schmidt, die weniger intentional gestaltet. "Sie lässt die Malerei geschehen", sagt Stegmayer. Gedanken und Gefühle sollen in ihnen sichtbar gemacht werden. Zweidimensionale Farbflächen mit rauen Oberflächen, aber imaginäre Räume gleichsam hinter der Leinwand öffnend, sind sie expressiv und abstrakt-unheimlich. Hier zeigt sich wieder: Ein Kunstwerk ist kein bloßes Ding, hinter materiellen Charakteristika lauern unsichtbare Eigenschaften, die es erst dazu machen. Ingrid Kern wiederum hat ein ganz eigenständiges Medium gefunden, eine Art kameralose Fotografie. Dia-Gramme nennt sie ihre Werke. Die Objekte werden von ihr in der Natur gesammelt oder sind Fundstücke ihres Lebensraumes, etwa florale Elemente. Diese Objekte - manchmal mit der Rasierklinge geöffnete Pflanzenteile - werden in Glas-Dias arrangiert und im Fotolabor vergrößert. Dabei entstehen Bilder, die in ihren Formen, Linien und Farben dem Betrachter Rätsel aufgeben, filigran und eigen. Ihre Muster und Strukturen versuchen, das Unsichtbare sichtbar machen. Die archaisch anmutenden Skulpturen von Michael Glatzel, die im lichten Bürgerhaus-Foyer zwischen den Stellwänden eine starke physische Präsenz haben, passen visuell gut ins Konzept. Nicht zuletzt von primitiver und mykenischer Plastik inspiriert, wirken sie in ihrer vielfältigen Materialität und formalen Reduktion.

Große physische Präsenz: die Steinskulpturen des Bildhauers Michael Glatzel. (Foto: Claus Schunk)

Während Biggi Wiehlers gern experimentiert, die Harmonie zwischen geometrischen und lyrischen Formen zu meistern sucht oder Erna Leiß sich spielerisch an der Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit übt, ist Christiane Krapp eine Vertreterin der realistischen Malerei, man könnte sagen, fast fotorealistisch. Stark verdünnte Acrylfarben machen ihre Werke zart, das Bild "Sommer in der Stadt", in dem sie einen Masskrug und eine Ausgabe der SZ versiert-plakativ gemalt hat, ist zwar keine geheimnisumwitterte Arbeit, dafür ein Blickfang. Während der gut besuchten Vernissage im Bürgerhaus wurde es gleich verkauft. "Der Käufer hat gesagt, es sei ein Eyecatcher", freut sie sich. Ihre Bilder sind vielleicht nicht rätselhafte "Schritte ins Verborgene", aber auch hier sollte man als Betrachter in den Hintergrund eintauchen, um zu verstehen: Bei "Pandora" etwa, einem sich über der Porzellantasse öffnenden Deckel, bezieht sie sich auf den China-Aufenthalt ihres Sohnes und evoziert mit dem Mythos der Pandora-Büchse ihre Angst vor der neuen, dubiosen Weltmacht. "Da kommt das Böse in die Welt." Generell sind die im Bürgerhaus gezeigten Werke von unterschiedlicher Qualität, nicht alle würden vor den gestrengen Augen einer Fachjury Bestnoten erhalten. Aber es ist eine schön konzipierte Ausstellung. Als Betrachter hat man viele Gelegenheiten, das zu tun, was Stegmayer sich für die Rezeption von Kunst wünscht: "Das tiefe Sich-Versenken, das einfühlsame Ergreifen" - das aber wiederum auf echtem Wissen basiert.

Die Ausstellung "Spuren ins Verborgene" im Bürgerhaus Pullach läuft bis zum 31. Juli.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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