Buchvorstellung:In der Liebe und im Krieg

Lesezeit: 4 min

Ruth Eder verarbeitet in ihrem neuesten Buch "Die andere Seite des Schmerzes" auch reale Erlebnisse. Sie selbst bezeichnet den Roman als fiktional, aber durch das Leben angestoßen. (Foto: Claus Schunk)

Die Ottobrunner Autorin Ruth Eder wagt sich in einem autobiografisch gefärbten Roman an ein schweres Thema

Von Udo Watter

Ihre Oma stickt nicht mehr. Sie näht nicht mehr. Und sie ist in ihrer Streitlust viel zahmer als früher. Alles Zeichen dafür, dass sie am Abbauen ist, dass sie dahindämmert mit ihren 95 Jahren. Judith schleicht Angst in die Eingeweide, als sie ihre bis vor Kurzem noch so vitale Großmutter betrachtet, die ob ihrer siebenbürgischen Herkunft das R immer so markant rollt. "Nix dauerrrt ewig, meine Liebe", sagt sie. In einem ihrer wachen Momente zeigt die Großmutter ihrer Enkelin einen Brief, den ihr Mann - also Judiths Großvater - ihr von der Front im Ersten Weltkrieg geschrieben hatte. Er war damals Kavallerie-Offizier im österreichisch-ungarischem Heer gewesen, wie viele andere voller Abenteuerlust ins Feld gezogen, um dann komplett desillusioniert zu werden: "Der Krieg ist unbeschreiblich. Das normale Denken und Fühlen ist ausgeschaltet. Man stürmt über Leichen, man sieht den Kameraden fallen ...wir waren von drei Seiten im Feuer. Angeschossene Pferde rasten herum, Gedärme hingen aus ihren Bäuchen. Der Hilfsplatz wurde zusammengeschossen. Kurz - Tod und Verderben."

Judith, die Protagonistin in Ruth Eders neuem Buch "Die andere Seite des Schmerzes" (Edition Noack & Block) ist tief bewegt, als sie das liest. Es ist das Jahr 1972 und ihr Mann - ein US-amerikanischer Kampfhubschrauberpilot, der in Vietnam war - hat ihr Ähnliches aus dem Krieg berichtet. Don, der als strahlender Held aufgebrochen war, kam erschüttert und traumatisiert aus Asien zurück - auch wenn er letzteres nicht einsehen will. Der Roman, der jetzt im August erschienen ist, basiert auf realen Erlebnissen der Autorin. Die Ottobrunner Schriftstellerin Ruth Eder war selbst einmal mit einem amerikanischem Piloten verheiratet, den der Krieg in Vietnam seelisch zerrüttete. Überhaupt ist die Handlung autobiografisch gefärbt, die weibliche Hauptfigur Judith hat unverkennbar Züge der jungen Eder, ist wie diese Journalistin in München, geprägt vom Flower-Power-Motto "Make love not war", emanzipiert, selbstbewusst und eine Freundin der 68er-Bewegung.

"Ein fiktionaler Roman, der durch Leben angestoßen ist", sagt Eder. Die Liebe zwischen Judith und Don beginnt im Jahr 1967 in München. Er ist dort bei der US Army stationiert. Ihre heftige, unkonventionelle Affäre mündet schnell in eine Hochzeit, zur Fliegerausbildung geht's später in die Staaten, wo Judith auch Dons verkorkste Familie kennenlernt. Es ist ein aufregendes, wildes Leben zu zweit, das durch Dons Einsatz in Vietnam unterbrochen wird. Er kehrt traumatisiert zurück und von da an fallen dunkle Schatten auf die Beziehung. Don, inzwischen Kriegsgegner, ist seelisch kaputt, greift seine schöne deutsche Frau auch tätlich an, weigert sich aber, psychologische Hilfe zu suchen. Die Ehe ist schwer gefährdet.

"Es war mir ein Bedürfnis, das aufzuschreiben. Es ist gerade jetzt, da die weltpolitische Situation so bedrohlich erscheint, ein wichtiges Thema, es ist ein Antikriegsbuch", erklärt Eder, die seit den Achtzigern mehr als 25 Bücher veröffentlicht hat. Konstruiert als Psychodrama, das aber immer wieder auch komische Elemente beinhaltet, hat Eder mit der Geschichte Großes vor. Ihr Berliner Verlag spricht davon, dass sie "auf unterhaltsame und spannende Weise wichtige Anliegen schildert" und etwa "die lebendige Atmosphäre der 68er und die schrecklichen Auswirkungen eines Kriegseinsatzes" beschreibt.

Nun, es gibt eindringliche Kapitel und Szenen, etwa die eingangs beschriebenen letzten Tage von Judith mit ihrer Oma, deren finaler Abgang - ihre Enkelin ist bei ihr am Sterbebett - mit zarter Empathie, sensibel und schönen Bildern beschrieben wird. ("Der Tod schien sein unheimliches Schleichen ums Haus vorübergehend eingestellt zu haben"). Eder ist auch gut darin, rotzige Boshaftigkeiten über äußerliche und intellektuelle Defizite flott zu formulieren, wobei sie aber mitunter übertreibt.

Der alternde Designer, mit dem die von Don enttäuschte Judith einen trotzigen One-Night-Stand erlebt, trägt dann nicht nur einen ekelhaft "nach Eber riechenden Schnurrbart", der ihr in die Nase sticht, während er sie "abschlabbert", sondern schläft nach dem Akt auch noch "unförmig und prustend wie ein gestrandeter Pottwal" ein. Überhaupt Äußerlichkeiten: Die Schönheit und sinnliche Ausstrahlung von Don und Judith werden etwas arg oft betont und die kurzen sexy Röcke oder hochhackigen Schuhe, die sie zur steten Erregung der Männer trägt, werden im Laufe des Buches zu einem leicht enervierenden, kleinen Leitmotiv. Es fällt überdies schwer, die Protagonistin, die gerne mal "pubertäre Rosinen im Kopf" hat, wirklich zu mögen, sie bleibt, obwohl sie hohe Ideale hat und auf der richtigen Seite steht, als Charakter oft ein wenig oberflächlich.

Ein Satz wie "Jetzt weißt du, warum ich auf schöne Männer mit Klasse stehe" aus Judiths Mund könnte auch in einem Rosamunde-Pilcher-Film vorkommen. Was die Dialoge angeht: Eder trifft den Mix aus Deutsch und Englisch (Amerikanisch), mit dem die beiden sich unterhalten, mitunter zwar richtig gut, andere Gespräche wirken aber etwas aufgesetzt und unecht. Auch das philosophische Motiv, das mitschwingt - der Kontrast zwischen dem Dionysischem (Don rezitiert gerne Nieztsche) und Apollinischen (Judith ist vor den rauschhaften Verlockungen des Abgrundes deutlich besser gefeit) - wirkt etwas konstruiert. Man nimmt den Hauptfiguren ihre seelischen und intellektuellen Prägungen nur teilweise ab. Das "Bigger than life"-Motto der beiden, die sich auch nach der Trennung zueinander hingezogen fühlen und keinesfalls den Wonnen der Gewöhnlichkeit verfallen wollen, es findet mit seinen geschilderten Konsequenzen selten Zugang zum Kopfkino des Lesers. Ein Grund dafür liegt auch darin, dass zu viel erklärt wird, dass unwichtige Details den atmosphärischen Erzählfluss stören, manches mehr behauptet wird als dramaturgisch schlüssig erscheint, und dadurch der Anspruch, höhere Literatur zu liefern, nur partiell erfüllt wird.

Eder, die mit "Altweibersommer" oder "Älternabend" gelungene komödiantische Romane geschrieben hat, findet diesmal nicht wirklich den passenden Ton. Für die 1947 in Stuttgart geborene Autorin, die auch für die SPD im Ottobrunner Gemeinderat sitzt, war das Schreiben dieses Buches "Die andere Seite des Schmerzes" ein besonderes Anliegen, sie kennt sich mit existenziellen Sujets wie Sterben und Verlust aus und als politisch engagierte Frau auch mit der Traumatisierung, die etwa Flüchtlinge belastet und verändert. Ihre Geschichte taucht aber nur selten in die beanspruchte Tiefe, auch weil die Figurenzeichnungen etwas plakativ sind. Durchaus flott zu lesen ist sie dennoch und ihr wichtigstes Motiv ist ja in der Tat ein zeitloses. In Eders Worten: "Man kann aus einem Krieg nicht ungeschoren davon kommen."

Das Buch ist als Hardcover im August erschienen (Noack & Block Verlag). Es wird am 14. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt, am 8. November im Giesinger Bahnhof in München und am 20. November in der Ottobrunner Bibliothek.

© SZ vom 23.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: