Brunner-Prozess in München:Zwischen Mord und Totschlag

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Trieb Brunner die Angeklagten zu einer Affekthandlung? Noch ist unklar, ob sich der Vorwurf des Mordes halten lässt - die ersten Sekunden am Sollner Bahnsteig könnten entscheidend für den Prozessausgang sein.

Christian Rost

Sie stehen wegen Mordes an dem Manager Dominik Brunner vor Gericht. Ob sich der Verwurf der Staatsanwaltschaft, die Jugendlichen Markus Sch. und Sebastian L. hätten den 50-Jährigen am Münchner S-Bahnhof Solln aus Wut und Rache absichtlich getötet, halten lässt, ist nach vier von neun Verhandlungstagen vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts offen.

Mehrere Zeugen, darunter die vier Schüler, die Brunner vor den Jugendlichen in Schutz genommen hatte, belasteten die Angeklagten in der ersten Prozesswoche schwer. Beide hätten brutal auf ihr Opfer eingeschlagen und -getreten. Doch auch Brunners Verhalten auf dem Bahnsteig rief bei Passanten und Fahrgästen einer S-Bahn Erstaunen hervor. Am Freitag sagte eine 56-jährige Verwaltungsjuristin im Zeugenstand, sie habe vom Zug aus gesehen, dass Brunner zwei Mal auf die Angeklagten eingeschlagen habe, ehe die Situation eskalierte.

"Ui, der geht jetzt auf die Jugendlichen los", so schilderte Daniela H. die Reaktion bei anderen Fahrgästen in der stehenden S-Bahn, als Brunner am Bahnsteig seine Jacke und Tasche am Boden abgelegt und sich zwei Schritte auf Sch. und L. zubewegt habe. Dann habe er eine Boxhaltung eingenommen und die Angeklagten mit zwei Schlägen angegriffen. H. sprach von "Kick und Schlag" mit Faust und Fuß, "wie bei einem Kampfsportler".

Ob Brunner, der tatsächlich Jahre zuvor an einem Boxtraining teilgenommen hatte, seine Gegenüber überhaupt getroffen hat, konnte H. in ihrer gerade abfahrenden S-Bahn nicht mehr sehen. Die Angeklagten selbst sprachen bisher immer von einem Faustschlag Brunners, der Sch. ins Gesicht getroffen habe. Auch ein Schüler hatte Brunners Verhalten gegenüber den Jugendlichen als offensiv empfunden. "Ich habe schon gedacht, dass er etwas tut", beschrieb der 16-Jährige die bedrohliche Situation.

Aus Sicht der Verteidigung sind die ersten Sekunden am Sollner Bahnsteig entscheidend für die weitere Entwicklung des Prozesses. Wie kam es dazu, dass der damals 18-jährige Markus Sch. und der 17-jährige Sebastian L. ausrasteten? Trieb Brunner sie zu einer "Affekthandlung", indem er auf sie zuging und sagte "Jetzt reicht's" und dann zuschlug? Oder näherten sich die beiden Angeklagten dem Manager schon zuvor mit geballten Fäusten, so dass dieser sich bedroht fühlen und wehren mit einem Präventivschlag wehren musste? Auch das haben mehrere Zeugen berichtet, und die Münchner Staatsanwaltschaft geht ohnehin davon aus, dass die beiden Jugendlichen auf eine Prügelei aus waren und Brunner letztlich nur in Notwehr gehandelt habe.

Für Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger ist der Mordvorwurf durch die voneinander abweichenden Darstellungen des Geschehens jedenfalls nicht erschüttert. Dass Zeugen auch auf geduldiges Nachfragen des Vorsitzenden Richters Reinhold Baier die Intensität und des Beginn der Auseinandersetzung sehr unterschiedlich darstellten, sei nicht ungewöhnlich, sagte Stockinger am Freitag am Rande der Verhandlung.

Einer der Verteidiger von Sebastian L., Roland Autenrieth, sieht seinen Mandanten bereits wesentlich entlastet. Nicht nur durch das mögliche offensive Verhalten Brunners, sondern auch durch L.s frühen Rückzug vom Opfer. "Er hat zugeschlagen, aber es war für ihn Schluss, als Herr Brunner am Boden lag", betonte Autenrieth. Der Mordvorwurf der Staatsanwaltschaft gegen seinen Mandanten sei "überhaupt nicht mehr zu halten". Fast alle bisher vor Gericht gehörten Zeugen hatten bestätigt, dass sich L. nach ersten Schlägen zurücknahm und auch seinen Kumpel Sch. stoppen wollte. "Es reicht", soll L. zu dem 18-Jährigen gesagt haben, als dieser weiter auf den Kopf Brunners eintrat.

Für Markus Sch. hat die erste Prozesswoche vor allem Belastendes gebracht. Der auf der Anklagebank gefasst wirkende junge Mann fügte Brunner wohl die meisten der 22 schweren Verletzungen zu. Zeugenaussagen zufolge bewaffnete er sich vor dem finalen Angriff auf den Manager mit einem Schlüssel und ließ dabei die Schlüsselspitze zwischen den Fingern seiner Faust hervorstehen. Diese vorsätzliche Bewaffnung, die wahrscheinlichen Tritte auf den Kopf des Opfers und der Umstand, dass Sch. sich mit L. eine Taktik überlegt hatte, wie sie Brunner am besten angreifen könnten ("einer von vorne und einer von der Seite") werden für seine Verteidiger zur Herausforderung.

Die tödlichen Schläge haben Sch. und L. vor Gericht gestanden, die Tötungsabsicht bestreiten sie aber.

© SZ vom 17.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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