Backpackerdomizil "The Tent":"Das hier ist ein schwarzes Loch"

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Jugendschutz und Partnerbörse: "The Tent" im Kapuzinerhölzl ist Münchens günstigste Übernachtungsmöglichkeit und vereint Feiern, Freaks und Fernweh.

Agnes Fazekas

Wenn die 17er-Tram Richtung Botanischer Garten ruckelt und ein Haufen junger Leute unter schweren Rucksäcken mit den Armen rudert. Wenn sie mit Flyern wedeln und vorlesen: "Cool, heiße Duschen." Dann ist wirklich Sommer - und Münchens günstigste Übernachtungsmöglichkeit hat wieder Saison.

Nach Urlaub sieht es bei "The Tent" schon an der Rezeption aus. Dahinter warten neben den Übernachtungsmöglichkeiten auch Beachvolleyballfelder, Hängematten und Lagerfeuerplätze. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Studenten aus Iowa, die sich auf ihrem Europa-Trip drei Tage Aufenthalt in München gönnen, wollen wegen der "Atmosphäre" in "The Tent" übernachten. Das andere Wort auf dem Flyer versuchen sie auch mal, geben aber bald belustigt auf: "Kapu-zi-nerhö-lzl."

Wie die meisten Gäste haben die Amerikaner über die Backpacker-Buschtrommel von den großen Zelten gehört, die zwischen Hängematten, Beachvolleyball und Lagerfeuer aufgebaut sind und wahlweise Stockbetten (10, 50 Euro) oder eine Isomatte plus Militärdecke bieten (7,50 Euro). Sie zählen zwar schon die Stationen, aber die zwanzig Minuten vom Hauptbahnhof nehmen sie in Kauf: für warmes Essen zu 3,50 Euro, Lagerfeuer-Romantik, ein paar interessante Freaks aus aller Welt - und viele Gleichgesinnte.

"Denn darum geht's doch", sagt Lothar. Er ist 58 Jahre alt und hat das erste Mal 1980 als Staff-Mitarbeiter geputzt, gekocht und nach dem Rechten geguckt. Er war auch schon Lektor und Schriftsteller, aber am liebsten beobachtet und analysiert er. "Ich habe hier dreißig Jahre Popkultur miterlebt", sagt Lothar.

Die eineinhalb Hektar am Kapuzinerhölzl wurden 1972 zu den Olympischen Spielen das erste Mal Zeltwiese, eigentlich aus einem ganz unromantischem Grund: Die Stadt wollte Hippies und Kiffer möglichst weit vom Zentrum weg haben. Im Englischen Garten sollten die Bogenschützen in Ruhe nach Medaillen schießen können, gutbürgerliche Fans sich nicht von Langhaarigen stören lassen.

Inzwischen zieht die günstige Unterkunft nicht nur Weltenbummler und Schulklassen an, auch Saisonarbeiter haben das "Kapu" für sich entdeckt. Das waren früher Marokkaner: "Die hatten manchmal Schwierigkeiten mit dem lockeren Umgang zwischen Männern und Frauen", sagt Lothar. Heute sind es Iren und Polen, die in den Biergärten Gläser abräumen und abends erledigt auf ihre Isomatten plumpsen.

In den Schlafzelten kann man zwischen Stockbetten oder der spartanischeren Variante - Isomatte plus Militärdecke - wählen. (Foto: Stephan Rumpf)

Interkulturelle Unterschiede gibt es kaum noch, findet Lothar. "Die hat das Internet nivelliert." Manche zieht es jedes Jahr her. Wie den 72-jährigen Seth, der eigentlich in Paris lebt, aber "überall in Europa" ein Fahrrad stehen hat, auch im Kapu.

Oder Nele und Philipp. Die beiden Endzwanziger touren mit ihrem ausgebauten Bus durch Italien oder Ungarn. Aber jeden Sommer landen sie im Kapu - zum Arbeiten. Sie seit zehn, er seit sechs Jahren. Irgendwann haben sie sich auch lieben gelernt. "Das Kapu ist eine Partnerbörse", sagt Philipp.

Aber es ist auch eine "Jugendschutzmaßnahme", getragen vom Kreisjugendring, bezuschusst von der Stadt. Die Mitarbeiter erklären nicht nur, wo man gut feiern kann, sondern richten auch schnell eine Notunterkunft her, wenn die Plätze ausgebucht sind, aber ein minderjähriger Ausreißer an der Rezeption wartet. "Wir schicken niemanden weg und nehmen uns Zeit", sagt Edith Nemeth, die den Platz gemeinsam mit Olaf Schäfer betreibt.

Wie die beiden über das Gelände spazieren, könnten sie selbst gerade im Urlaub sein: jeder Schritt Gelassenheit. Nemeth steckt ihren Kopf in das Haupt-Zelt und lacht: "Eine Wahnsinnshitze und in der Nacht eiskalt, aber unser Angebot ist halt unschlagbar." Auch die Gäste finden das: Schäfer kann seinen Blick gar nicht von der Liste mit den Kommentaren lassen, die er gerade aus dem Internet gedruckt hat. Durchweg Lob.

"Danke, dass ihr Euch um meinen betrunkenen Freund gekümmert habt", schreibt einer. Zur Wiesn hat das Tent Hochsaison, dann begleiten zwei Mitarbeiter die Nacht-Tram und geben ihre Einsätze: "Psst! Hier ist das Krankenhaus, bitte leise sein." Das einzige, was manchen stört: Das Publikum wird jünger. "Jugendliche, die das erste Mal verreisen, wollen halt nicht neben Pfadfinderwölflingen übernachten", sagt Nemeth. Trotzdem gab es dieses Jahr schon eine Rekordnacht mit 350 Gästen.

Die Hitze drückt, drei Jungs in Surfshorts haben sich in die "Piano-Bar" zurückgezogen. Einer klimpert. "Hier kommen viele Straßenmusiker durch und machen spontan Musik", sagt Nemeth. Seit ein paar Jahren hat das Tent allerdings auch Nachbarn. Doch oft setzen sie sich abends einfach dazu. Nachmittags waren die Kinder da, weil sie hier ohne Ärger toben können. Einmal ist sogar eine Hochzeitsgesellschaft aus der Wohnsiedlung ins Kapu geflohen, um ungestört weiterzufeiern.

"Trotz allem ist es bei uns wahnsinnig friedlich", sagt Nemeth fast verwundert. Nur dreizehn Mal musste die Polizei im vergangenen Jahr Richtung Kapu ausrücken - wenig bei etwa 20.000 Übernachtungen. Meistens ging es um Zechprellerei oder Diebstahl. "Wir wollen keinen Zaun drum machen", erklärt Nemeth. "Die Diebe kommen meist von außen. Einmal haben wir uns zwei Wochen auf die Lauer gelegt und zwei Zeltschlitzer erwischt."

Kirsten kommt aus Kanada. Die 19-Jährige ist seit Monaten unterwegs. Über ihr und 500 Quadratmetern einfacher Holzdiele hängt eine Discokugel, die vor dem Einschlafen Sterne an die Zeltwand zaubert, im Bett neben ihr kuschelt ein Pärchen. "Das hier ist ein schwarzes Loch", sagt sie. "Man vergisst die Zeit und irgendwann schluckt es einen."

© SZ vom 29.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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