Ausstellung in Haar:Explosion der Emotionen

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33 Künstler, die regelmäßig in der Seelen-Art-Tagesstätte des Sozialpsychiatrischen Zentrums malen, zeigen ihre intensiven und farbkräftigen Werke im Haarer Rathaus

Von Udo Watter, Haar

Das Tor zur Welt, die Pforten der Wahrnehmung, der Eingang zum Paradies - oft verbinden wir mit der Möglichkeit, einen neuen Raum zu betreten, sei es geistig oder körperlich, etwas tendenziell Positives. Auch das offene Hintertürchen genießt den Ruf, eine listige Option zu sein, sich beizeiten gefahrlos zurückzuziehen. Elena Meditz' Bild "Hintertür" erzählt eine andere Geschichte: Kräftige, wuchtige Schwarz- und Rottöne prägen das Werk, es ist eine eher düstere Aura, die sich hier entfaltet, und ein plastischer Schlüssel, der in einen Draht gefesselt an der Leinwand hängt, bleibt besser unbenutzt.

Die Hintertür verbirgt einen gefährlichen Raum, wo eventuell Alkohol, Manie oder Depression die Seele verwüsten, und sie ist nie ganz zu. "In meinen Bildern sind viele Emotionen drinnen", sagt Meditz, "es sind Explosionen der Emotionen." Sie ist eine von 33 Künstlerinnen und Künstlern, die als regelmäßige Besucher der Kunsttagesstätte Seelen-Art ihre Werke seit dieser Woche im Haarer Rathaus ausstellen.

Die Seelen-Art-Tagesstätte - eine Einrichtung des Sozialpsychiatrischen Zentrums (SPZ) der Kliniken des Bezirks Oberbayern - ist im April 2015 vom Klinikgelände mit der offenen Kunstwerkstatt in die Ladehofstraße in Haar umgezogen. Die Intention hat sich freilich nicht verändert: der Fokus liegt auf Kunst und Kreativität als verbindenden Elementen aller Angebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen. "Im Vordergrund steht das freie Gestalten. Es ist keine klassische Kunsttherapie", sagt Ulrike Ostermayer (SPZ). "Jeder hat seinen individuellen Ausdruck", erklärt Sabine Schlunk, die wie Ostermayer Kunsttherapeutin ist. In der Tat: Im Haarer Rathaus sind unterschiedliche Techniken zu sehen, eine Vielfalt an Sujets und natürlich schwankt auch die Qualität der gezeigten Werke. Was freilich auffällt: Vielen Arbeiten eignet eine Leuchtkraft und lebensfrohe Vielfalt der Farben - Haars Bürgermeisterin Gabriele Müller etwa war bei der Ausstellungseröffnung im lichtdurchfluteten Rathausfoyer ganz angetan von Thomas Hobelsbergers bunt-fröhlichem Bild "Love". Hobelsberger, der sich als Maler Cosmic Tom nennt, ist von der Kunst australischer Aborigines inspiriert. Für ihn ist das Arbeiten "Meditation und Farbtherapie zugleich". Er hat eine Vergangenheit in der Forensik, kommt seit knapp zehn Jahren fast jeden Tag nach Haar zum Malen und ist inzwischen vermehrt künstlerisch tätig. Nicht ohne Erfolg: "Ab und zu verkaufe ich schon was, das streichelt dann das Selbstbewusstsein." Kreative mit psychiatrischer Erfahrung sind in ihrer Schöpferkraft in gewisser Weise freier, da sie sich weniger am Kunstmarkt orientieren, sondern quasi in der Tradition der Art Brut unverfälschter und vitaler ausdrücken. Wichtiger als der Verkaufserfolg ist letztlich die Funktion von Kunst als Medium gegen soziale Ausgrenzung, der kreative Akt als Ventil.

Für Axel Bittner, der einen eher naiv-abstrakten Stil pflegt, eine Möglichkeit, die er gar nicht oft genug nutzten kann. Er pinselt sich gerne in eine Art Flow und malt etwa 500 Bilder pro Jahr. "Es tut einem gut, wenn man was geschaffen hat. Man kann damit seine Seele ausdrücken", sagt er. Auf eindrucksvolle Art macht das auch Gennaro Raimo, der "nicht nur kreativ sein, sondern auch Schönes schaffen will". Mit farbintensiven, fantasievollen und formal fein komponierten Bildern wie "Mond" gelingt ihm dies. Er hat vor etwa 15 Jahren mit dem Malen über die Kunstwerkstatt Seelen-Art angefangen und ist heute noch regelmäßiger Besucher: "Für uns ist es wie auf eine Party gehen. Jeden Tag." Leute wie er, Hobelsberger oder Bittner sind schon lange dabei und schätzen das kreative Arbeiten im vertrauten sozialen Ambiente - wobei natürlich auch "psychisch gesunde" Menschen eingeladen sind, in der Kulturbegegnungsstätte in der Ladehofstraße 10 vorbeizuschauen.

Matthias Leucht, der seinen Stil als "Spontanrealismus" bezeichnet, nutzt die Möglichkeit, sich in der Seelen-Art-Tagesstätte kreativ auszudrücken, noch nicht so lange, ist aber ebenfalls angetan. Für ihn hat das Malen einen "Freiheitseffekt" und sein von Stereo Heat (Urban Art) inspiriertes Bild "Die immer lacht" ist ein Blickfänger. Ähnliches kann man von Kristin Leonhardts Bild sagen, bei dem ein Frauengesicht mit weichen Manga-Augen von einem Flammenmeer eingerahmt ist, und ein Text bittet: "Liebe mich, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann brauche ich es am meisten." Wer sich die Werke, die teils eine naive und antiakademische Ästhetik kennzeichnet, nicht nur ansehen will, kann die Bilder der Seelenart-Künstler übrigens auch mieten - ob sie nun eher schwermütig oder leuchtend-bunt sind.

Die Ausstellung der Seelen-Art-Künstler im Haarer Rathaus ist noch bis zum 1. April zu sehen.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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