Kurs:Wie Eltern Neugeborenen das Leben retten können

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Das Klinikum Schwabing bietet spezielle Erste-Hilfe-Kurse an. Dabei geht es nicht nur um Leben oder Tod, sondern auch um verschluckte Murmeln

Von Franziska Gerlach

Neun Minuten. Jede einzelne unendlich lang. Neun Minuten, in denen Johannes Schrader um seine erst acht Tage alte Tochter bangt. Dreimal hat ihr Atem ausgesetzt, erzählt der Vater. Einfach so. Obwohl seine Frau sofort die Fenster aufgerissen und dem Kind die Kleider ausgezogen habe. Neun Minuten. Solange hat es gedauert, bis der Rettungsdienst da war.

Auf den grünen Yogamatten um ihn herum streichelt eine Frau ihren Babybauch, ein Paar hat die Finger ineinander verschlungen. Beim "Erste-Hilfe-Kurs für (werdende) Eltern" in der "München Klinik Schwabing" ist an diesem Sonntagvormittag die letzte halbe Stunde angebrochen. Bevor die Geschichte vom Atemstillstand des neugeborenen Mädchens bei den Teilnehmern betretenes Schweigen hervorruft, hat die Gruppe um Kursleiterin Samira Pospisil viel gelacht. Und viel gelernt über oftmals lebensrettende Maßnahmen im Umgang mit Babys und Kindern.

Laut dem Bundesministerium für Gesundheit werden in Deutschland jährlich etwa 1,7 Millionen Kinder unter 15 Jahren behandelt. Nicht lebensbedrohlich, aber tückisch sind zum Beispiel Bisse von Katzen: Deren spitze, lange Zähne könnten sich so tief ins Fleisch bohren, dass die Verletzung nur von einem Arzt gereinigt werden könne. Der führe ein Röhrchen in die Wunde ein und spüle sie aus, damit sich darin keine Bakterien sammelten, sagt Pospisil.

Überhaupt gibt es kaum ein Thema, das die Hebamme nicht mit den Teilnehmern bespricht: Hitzschlag, Gehirnerschütterung, Stromschläge, Verbrennungen oder Nasenbluten. Bei Insektenstichen solle man nicht saugen, sondern das Gift aus der Wunde herausdrücken. Bei Schwellungen im Mund solle man einen Eiswürfel zum Lutschen geben. Und beim Klassiker der Unfälle, einer verschluckten Murmel, könnten ein paar mit der flachen Hand ausgeführte Schläge auf den Rücken eine feststeckende Glaskugel lockern.

An einer kleinen Babypuppe aus Plastik können die Teilnehmer díe gelernten Handgriffe ausprobieren. (Foto: Catherina Hess)

Besonders intensiv beschäftigt die Kursteilnehmer aber die Furcht vor dem plötzlichen Kindstod. Man erfahre immer wieder von Eltern, die ihr Kind verloren hätten, sagt Kathrin Schönemann, deren kleine Tochter neben ihr in der Tragetasche schläft. Also möchte sie die Reanimation lernen - um für den Notfall vorbereitet zu sein. Wie man die Lebenszeichen überprüft? Pospisil erklärt: Hören, fühlen, sehen. Hören, ob noch Luft durch den Körper des Kindes strömt. Den Bauch befühlen. Und sehen, ob sich durch das Atmen die Bauchdecke hebt. "Wenn ich keine Lebenszeichen habe, dann beginne ich mit der Herzdruckmassage", sagt sie. Egal ob das Herz noch schlage oder nicht. Überhaupt sei es im Notfall immer besser, etwas zu tun, als aus Angst vor Fehlern in Untätigkeit zu erstarren.

Die Hebamme nimmt einen Hocker, legt eine Babypuppe darauf, pustet einen Mund voll Luft in den winzigen Plastikmund, setzt zwei Finger an die Stelle, an der sich das Brustbein befindet, und drückt fünfmal. Keine Reaktion? Dann das Ganze von vorn. Zwei Mal beatmen, Herz massieren, diesmal 15 Mal drücken. Und zwar schneller, als man es bei Erwachsenen tut, damit die Herzdruckmassage zur hohen Pulsfrequenz eines Babys passt. Die Hebamme hat noch einen Trick parat, wie man das richtige Tempo findet: Singen, am besten "Stayin' Alive" von den Bee Gees. Nicht des Titels wegen natürlich. Sondern weil das Lied so einen flotten Rhythmus hat.

Sebastian Schwarzmeier schreibt alles auf. Der werdende Vater ist allein da, Anfang Januar kommt das Baby, doch der Arzt hat seiner Frau schon jetzt Bettruhe verordnet. "Als Vater betrifft einen das ja genauso", sagt er. "Und der letzte Erste-Hilfe-Kurs war der für den Führerschein - wie bei den meisten."

Pospisil ist keine von der Sorte, die Panik verbreitet. Aber manchmal lauern die Gefahren eben dort, wo man sie nicht vermutet. Wie sich an einigen erstaunten Gesichtern in der Runde ablesen lässt, wussten viele Kursteilnehmer noch nicht, dass kleine Kinder sogar in einer Pfütze in der Badewanne ertrinken können. "Bis zu einem Alter von drei bis vier Jahren fehlt Kindern der Reflex, sich aus dem Wasser aufzurichten", sagt Pospisil. Ist das Kind noch bei Bewusstsein, muss es schnell raus aus den nassen Kleidern. Hat es das Bewusstsein verloren, muss es reanimiert werden.

Die Kursteilnehmer üben Wiederbelebungsmaßnahmen für den Notfall. (Foto: Catherina Hess)

Es gibt auch Notfälle, auf die man anders reagieren sollte, als es nach dem gesunden Menschenverstand scheint: Hat ein Kind etwa giftige Substanzen geschluckt, sollte man es besser nicht zum Erbrechen bringen. Denn beim erneuten Weg durch die Speiseröhre würde das Gift womöglich noch mehr Schaden anrichten, erklärt die Hebamme. Besser sei es, das Kind Wasser trinken zu lassen - und den Giftnotruf am Klinikum rechts der Isar (089/ 1 92 40) zu kontaktieren.

Johannes Schraders kleine Tochter wurde nach ihrem überstandenen Atemstillstand gründlich untersucht. Doch die Ärzte fanden nichts. Es bleibt ein Rätsel, was ihr passiert ist. Generell, sagt Pospisil, gebe es einige Risikofaktoren für den plötzlichen Kindstod. "Das Hauptproblem ist gestaute Hitze", erklärt die Hebamme, erzeugt durch zu warme Kleidung oder Decken, die die Luft nicht zirkulieren lassen. Die ideale Zimmertemperatur für das Schlafzimmer des Babys liege zwischen 16 und 18 Grad. Außerdem sollten Eltern auf keinen Fall dort rauchen, wo das Kind schlafe.

Die Hebamme beruhigt die Gruppe aber auch: Alles in allem sei das "Sudden Infant Death Syndrome" (SIDS), wie der plötzliche Kindstod auch genannt wird, sehr selten. Atempausen kämen bei Babys allerdings durchaus vor, sie vergäßen gewissermaßen, Luft zu holen. Absolute Stille im Schlafzimmer sei gar nicht so gut. "Kurze Unterbrechungen", sagt Pospisil, erinnerten das Kind daran, zu atmen. Eine Schranktür, die auf- und wieder zugeht zum Beispiel. Gemurmel, Schnarchen, Hüsteln. Oder Sex.

© SZ vom 20.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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