Kundgebung vor Staatskanzlei:Sie können auch Moll

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Von der Musikhochschule ziehen die etwa 120 Lehrbeauftragten bis vor die Staatskanzlei - und machen dabei natürlich auch Musik: Sie spielen "Freude, schöner Götterfunken" und die Bayernhymne in Moll. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Freistaat behandle sie mies, klagen die Lehrbeauftragten der Musikhochschulen. Nun streiken sie - und demonstrieren erstmals für bessere Arbeitsbedingungen

Von Jakob Wetzel

Was sie am meisten ärgere? Marlene Mild weiß nicht, wo sie anfangen soll. "Dass wir eine hoch qualifizierte Arbeit für diese Hungerlöhne leisten", sagt sie dann, und mehr und mehr sprudelt es aus ihr heraus: "Dass wir nicht abgesichert sind! Krank werden darf man nicht", sagt die mehrfach ausgezeichnete Sopranistin, die an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) einen Lehrauftrag für Gesang innehat. "Und dass wir arbeiten müssen, ganz ohne Honorierung!" Wenn sie etwa Lektionen vor- oder nachbereite, erhalte sie dafür gar nichts. "Eigentlich ist das eine Lachnummer", sagt Mild. Doch zum Lachen ist ihr an diesem kalten Vormittag nicht zumute.

Mild ist eine von etwa 120 Lehrbeauftragten für Musik aus ganz Bayern, die am Montag in München für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert haben. Von der Musikhochschule an der Arcisstraße sind sie mit Pfeifen und Trommeln, Kuhglocken und Trompete zur Staatskanzlei gezogen, zur Melodie von "Freude, schöner Götterfunken" und einer Moll-Version der Bayernhymne. Bis zum 24. November wollen sie die Arbeit niederlegen. Und wenn sich nichts ändere, werde man wieder streiken, kündigt ein Sprecher der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (BKLM) an. Den Dozenten geht es um ihre Existenz.

Denn viele Lehrbeauftragte bilden eine Berufsgruppe, die es eigentlich nicht geben dürfte: Sie stemmen den Großteil des Musik-Unterrichts an Unis und Hochschulen und sind auf diese Tätigkeit auch angewiesen; sie haben aber keine festen Verträge und keine soziale Sicherheit. Lehraufträge wurden in den Siebzigerjahren als reine Nebenjobs eingeführt: Etablierte Musiker sollten für einen geringen Zuverdienst die Hochschulen entlasten und dabei deren Stundenplan bereichern. Voraussetzung dafür sollte sein, dass sie anderswo, etwa in einem Orchester, ein festes berufliches Standbein haben. In vielen Fällen aber wurde darauf keine Rücksicht genommen: In der Praxis dienen die Dozenten den klammen Hochschulen häufig als günstiger und flexibler Ersatz für Professoren.

Seit Jahrzehnten sind viele Lehrbeauftragte deshalb prekär beschäftigt; nun spitzt sich die Lage zu. Denn der Freistaat, der die eigenen Regeln lange nicht konsequent befolgt hat, pocht jetzt auf deren Einhaltung. Die Hochschulen müssen sicherstellen, dass Lehraufträge nur Nebenjobs sind. Konkret heißt das: Dozenten, die teils seit Jahrzehnten unterrichten und sich häufig mit mehreren Lehraufträgen über Wasser halten, müssen zurückstecken.

Ihre Demonstration ist ein Hilferuf: Aus Würzburg und Passau sind sie nach München gekommen, aus Nürnberg, Regensburg oder auch Augsburg wie Dimitri Lavrentiev: Der Gitarrist unterrichtet am dortigen Leopold-Mozart-Zentrum und organisiert Veranstaltungen wie ein Internationales Gitarrenfestival, das im April zum siebten Mal stattfinden wird. "Wir wollen Sicherheit fürs Alter", sagt er. Der Streik ist für ihn auch eine Sache der Solidarität: "Ich kann mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, weiter zu unterrichten, wenn andere versuchen, etwas zu verändern."

Sie ärgere am meisten, dass nicht differenziert werde, sagt Andrea Fleißner. Auch sie unterrichtet an der FAU Erlangen-Nürnberg, seit einem Vierteljahrhundert lehrt sie dort Musikpädagogik. Jetzt hält sie ein Transparent, auf dem "Ein Lehrauftrag ist kein Hobby" steht, gerade hat sie eine Trillerpfeife aus dem Mund genommen. Alle Lehrbeauftragten würden gleich behandelt, klagt sie - egal, ob sie auf ihren Lehrauftrag angewiesen sind oder nicht.

Die Demonstranten wollen mehr Geld und möglichst mehr Professuren, sie möchten Mitsprache, vor allem aber Sicherheit - Dinge, die für Angestellte selbstverständlich sind. Zum Beispiel eine Mutterschutzregelung, Honorarfortzahlung im Krankheitsfall, eine Alterssicherung. Sie wollen, dass der Freistaat sich zu seiner sozialen Verantwortung bekenne. Und sie fordern die Freiheit, mehrere Lehraufträge wahrzunehmen, also mehr zu arbeiten, als ihnen der Freistaat zugestehen will.

Das Kunstministerium verweist auf die Rechtslage: Wolle man die Lage verbessern, müsse der Landtag mehr Geld bereitstellen. Zur Demo hat das Ministerium zumindest einen Sprecher als Emissär geschickt; die CSU dagegen hat sich rar gemacht, dafür sind Abgeordnete der SPD, Grünen und Freien Wähler gekommen. Auch Christine Schornsheim, Vizepräsidentin der Münchner Musikhochschule, steht bei der Demo vor der Staatskanzlei.

Die Lehrbeauftragten brauchen den guten Willen, denn ihre Verhandlungsposition ist schwierig. Das zeigt sich bereits an ihrem Streik: Sie haben weder ein richtiges Streikrecht noch eine Gewerkschaft, die den Verdienstausfall ausgleichen würde. "Wir müssen alle Stunden nachleisten", sagt etwa Marlene Mild. Die BKLM hat zwar dazu aufgerufen, die während des Streiks wegfallenden Stunden tatsächlich ausfallen zu lassen. Die Hochschulen seien verpflichtet, den Unterricht anzubieten, das gehe nur mit Lehrbeauftragten. So könne man den Staat unter Druck setzen, heißt es. Doch das müssen sich die Lehrbeauftragten erst einmal leisten können.

© SZ vom 14.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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