Kultureller Ehrenpreis:Geheimnis des Geheimnis'

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Dietrich Fischer-Dieskau erhält den Kulturellen Ehrenpreis Münchens. Wie immer fragt man sich: Warum so spät?

Joachim Kaiser

Bei allen Auszeichnungen, Verdienstkreuzen, Doktor-Würden oder kulturellen Ehren-Preisen, welche Dietrich Fischer-Dieskau zugedacht werden, stellt sich unvermeidlich immer nur eine Frage: Warum so spät?

Aura des Vollendeten: Dietrich Fischer-Dieskau während der Uraufführung on Benjamin Brittens "War Requiem" in der neuerbauten Kathedrale von Coventry, 1962. (Foto: Foto: Getty Images)

Antwort: weil Dietrich Fischer-Dieskaus Kunst von Anfang an die Aura des Vollendeten umgab! Leonard Bernstein nannte ihn den "bedeutendsten Sänger des Jahrhunderts". Der sehr germanophile Franzose Jean Cocteau schwärmte nach einem Pariser Konzert, dieser Künstler lasse jedes einzelne Lied spontan unmittelbar entstehen.

Und obwohl Fischer-Dieskau einräumte "Ich bin mir bewusst, dass ich nicht der robusteste aller Heldenbaritone bin und dass ich nicht die größte Stimme habe, die es heute zu hören gibt", ließ sich der alte, tief Wagner-erfahrene Wilhelm Furtwängler noch ein Jahr vor seinem Tod nicht davon abbringen, dem blutjungen Bariton für seine singuläre "Tristan"-Einspielung von 1953 die doch eher ruppig-markige Partie des Kurwenal anzuvertrauen. Anderthalb Jahrzehnte später wählte ihn Karajan für den "Rheingold"-Wotan.

Die Lebensleistung des Sängers

Fischer-Dieskau, am 28. Mai 1925 in Berlin geboren, bereits im Herbst 1948 als erster lyrischer Bariton an die Berliner Städtische Oper verpflichtet, begann seine Bühnen-Karriere erstaunlicherweise mit Verdis Marquis Posa aus dem "Don Carlos". Er sang mannigfache Wagner- und Mozart-Partien, war unvergesslich bei der Münchner Uraufführung von Aribert Reimanns "König Lear" in Ponnelles glänzender Inszenierung.

Doch alle solchen Opernauftritte des jungen wie des reiferen Baritons rückten in den Hintergrund, weil als Lebensleistung dieses gewiss erfolgreichsten, folgenreichsten Sängers seines Jahrhunderts eben doch gelten muss, dass er jenes Mirakel rettete, reformierte, einer Renaissance zuführte, von dem alle, die es lieben, nur mit einem Unbeteiligten gewiss peinlichen Kitsch-Pathos reden können: nämlich das deutsche Lied, wie es Schubert, Schumann, Brahms, Wolf und Pfitzner schufen.

Diese Behauptung mag übertrieben anmuten. Natürlich hörten "Schöne Müllerin" und "Mondnacht", "Storchenbotschaft" und "Von ewiger Liebe" nach 1945 nicht einfach auf zu existieren. Aber damals, das haben manche Jüngeren vielleicht vergessen, gab es doch ein heftiges Misstrauen gegen Formen anspruchsvoller deutscher Innerlichkeit, biedermeierlicher Lyrizität, gegen Feinsinnig-Seelisches. Die großen Sänger der dreißiger Jahre - der emphatische Karl Erb, Heinrich Schlusnus mit wunderbarem Erz in der Stimme, Julius Patzak - hatten sich zurückgezogen. Entschwunden schien der Brauch, dass jeder ehrgeizige Opernsänger sich von Zeit zu Zeit mit einem Liederabend beweise...

Die fast vergessene Seele des Kunstlieds

Und dann kam ein junger Mann und sang mit verzehrendem Ernst, aber auch unersättlicher Neugier traditionelle wie zeitgenössische Lieder. Er nahm mehr Platten auf (und verkaufte auch mehr) als alle Kollegen. Er rettete und belebte die zumindest bedrohte Institution des "Liederabends" wie auch die von der Öffentlichkeit fast vergessene Seele des Kunstlieds.

Er artikulierte sehr deutlich. Nahm älterwerdend in Kauf, dass Rezitativisches manchmal Melodisches zurückdrängte. Wies mit Recht darauf hin, man habe schon dem Bariton Vogl, Schuberts engem Freund und Interpreten, vorgehalten, er deklamiere zu sehr.

Fischer-Dieskau wiederholte sich nie. 1991 dramatisierte er Schuberts "Schöne Müllerin" mit exzentrischer Wildheit - nachdem er sie einst, 1959, als herzbewegend schmerzliche Lied-Novelle geboten hatte. Über den Ton träumerischen Schmerzes verfügt er ebenso wie über den Ausdruck unantastbar mystischer Größe. Wer ihn einmal tiefbewegt erlebte in Brahms "Deutschem Requiem" mit dem Solo: "Siehe, ich sage euch ein Geheimnis. Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden", der wünschte ergriffen, es möge doch dem großen Sänger und Gesangspädagogen gelingen, sein Geheimnis, so vom "Geheimnis" zu singen, weiterzugeben.

Dietrich Fischer-Dieskau erhält heute um 19 Uhr im Saal des Alten Rathauses den Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München 2008. Die Laudatio hält Dieter Borchmeyer.

© SZ vom 26.01.2009/pfau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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