Kultur und Kulinarik:Am Lagerfeuer der Event-Gastronomie

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Der Künstler isst mit: Kleinkunst-Allzweckwaffe Sven Kemmler hat gemeinsam mit dem Hobbykoch Marc Christian einen Supperclub eröffnet - mit Motto-Abenden und wechselnden Gästen

Von Oliver Hochkeppel

Blutrot liegt das Lamm auf dem Teller - was aber vor allem an den rote Beeten liegt, die mit ihm verkocht wurden. Kredenzt wird dazu ein Chianti, der seine jahrzehntelange Lagerung in einer Fünf-Liter-Magnumflasche nicht spurlos hinter sich gebracht, aber daraus neue, likörhafte Reize entwickelt hat. Zum Nachtisch grinst einen ein Totenkopf an, aus Pannacotta. Umrahmt werden diese kulinarischen Genüsse von zwei langen, wunderbar morbiden Gedichten. Lisa Eckart, die Wiener Großmeisterin der extremen Poetry-Slam-Lyrik, trägt sie vor. Sie hat auch das Motto des Abends vorgegeben: "Chianti & Cannibalism". Eine einmalige Geschichte, die aber in einer seit Anfang des Jahres regelmäßigen Reihe stattfand: den Supperclub- und Themenabenden im "Meatingraum" im Westend, einem "Kreativraum für Kultur, Konzeptkochen, Coaching, Seminare, Incentives und Events - individuell, fair & fein", wie es auf der Homepage heißt.

Klar, dass hinter dem Kreativraum auch Kreative stecken, in diesem Fall zwei, die aus ganz verschiedenen Ecken kommen, sich aber perfekt ergänzen. Da ist zum einen Sven Kemmler, Kabarettist, Komiker, Poetry-Slammer. Einer der Ausgebufftesten und Klügsten, gewissermaßen der "musicians musician" der Kleinkunst-Szene. Nicht der Typ Rampensau, vielmehr ein Freund der verzögerten, hinterhältigen Pointe. Einer der Gefragtesten im Hintergrund, der für viele Kolleginnen und Kollegen textet und Regie führt.

Wer seine "Schottenabende" zusammen mit Matthias Tretter und anderen Vereinsheim-Thekenfreunden wie Jochen Malmsheimer kennt, weiß um Kemmlers Status als Whisky-Fex. Darüber hinaus ist er seit 30 Jahren ein begeisterter Hobby-Koch. Eine Leidenschaft, die mit dem Kabarettistenberuf noch zugenommen hat: "Es gibt ja keine größere Diaspora als Essen auf Tourneen, je nördlicher, desto schlimmer", sagt Kemmler. "Da wurde die Sehnsucht immer größer, wenn ich denn zu Hause war, dann in jedem Fall etwas zu brutzeln. Und auch nach einem Tag am Schreibtisch ist Kochen die perfekte Entspannung für mich."

Der Meatingsraum von Marc Christian (li.) und Sven Kemmler ist ein Kreativraum für Kultur, Konzeptkochen, Coaching, Seminare und Events. (Foto: Jeannette Kummer)

Noch leidenschaftlicher und intensiver ist die Beziehung zum Kochen bei seinem Freund und Partner Marc Christian. Der Mann, dem man ansieht, dass er nicht nur gerne für andere kocht, fand sein Hobby ebenfalls früh, "so mit 15, 16". Wie bei Kemmler stand der Berufswunsch Koch nie zur Debatte: "16 Stunden am Tag in der Küche stehen zu müssen und dafür zum Ausgleich wenig zu verdienen, ist nicht wirklich attraktiv", sagt er. Stattdessen war er zwölf Jahre lang bei Online-Firmen unterwegs, davon allein zehn bei einem Dating-Portal, bei dem er erst Kundendienstleiter und dann Produktentwickler war, unter anderem für "fraud prevention", also für Betrugsprävention. Das Sicherheitsthema im Internet wird ihn nicht loslassen, gerade bastelt er mit Freunden an einem Start-up in dieser Richtung.

Freilich, für einen klassischen Computer-Nerd ist Marc Christian zu sehr Genussmensch. Schon 2007 gründete er mit einem Kollegen einen kleinen Weinladen: "Es ist eher einen Keller-Weinverkauf. Das Ziel war ursprünglich, selbst günstig an guten Wein zu kommen", sagt er. Über das Bekochen von Weinproben kam er dann auch zum Hobby-Catering. Ein treuer Begleiter war die Kocherei auch schon während des Studiums der Kommunikationswissenschaften, interkulturellen Kommunikation, Ethnologie und Psychologie, zu dem er 1999 nach München kam.

Unter den Kommilitonen waren der heutige Kabarettist Claus von Wagner und die heutigen Webdesignerin Jeanette Kummer. "Mit ihr habe ich während des Studiums mit Impro-Kochabenden angefangen. Das heißt, ihre Freunde haben mitgebracht, was sie noch so im Kühlschrank hatten, und ich habe gekocht. Sehr lustige Abende", berichtet Christian. Als Jeanette vor fünf Jahren Sven Kemmler kennenlernte, wurde der logischerweise schnell zum "Kollateralfreund", wie Christian scherzt. Zumal Christian und Kemmler schnell ihre gemeinsame Leidenschaft entdeckten. "Schon bei den ersten ein, zwei Kochabenden merkten wir: Wir sprechen dieselbe Sprache am Herd und spielen uns perfekt die Bälle zu", sagt Christian. "Wir hatten auch schnell eine Riesenfreude daran, uns fürs Kochen irgendein blödes Motto auszudenken und das dann umzusetzen. Kommt dazu, dass Marc auch ein passionierter Comedy- und Kabarett-Gucker ist", ergänzt Kemmler.

Zum Nachtisch gibt es Totenkopf aus Pannacotta. (Foto: Jeannette Kummer)

Idee und Konzept für die Verbindung ihrer lukullischen Fertigkeiten und kulturellen Instinkte zu einer zweiten beruflichen Existenz mit acht bis zehn Veranstaltungen pro Monat waren schnell klar umrissen. Doch in München steht und fällt ja vieles mit geeigneten und erschwinglichen Räumlichkeiten. Da war es ein Glücksfall, dass man vor einem Jahr die Wirte des "Stoa" im Westend kennenlernte. Die hatten nebenan in der Gollierstraße ebenerdig ein ehemaliges Ladengeschäft, in dem sich eine Küche, ein Esszimmer und Lagerräume befinden. Kein Problem, sich dort nebenbei breit zu machen und an einigen Abenden im Monat sein Unwesen zu treiben: Der "Meatingraum" war geboren. Im vergangenen November begann man mit den ersten Veranstaltungen.

Drei Säulen sind es bislang, auf denen ihr neues, zweites Tätigkeitsstandbein ruht: zum einen Kurse, Workshops und Tastings. Dann die Supperclubs mit Themen, bei denen der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Nach den soeben abgehaltenen "Italien-Specials", bei denen man sich unter anderem kulinarisch auf Goethes Spuren begab, oder dem "Yes-wie- can"-Abend mit Gerichten ausschließlich aus Dosen (englisch "Can") folgen demnächst zum Beispiel am 4. Mai ein "Star-Wars-Dinner", am 21. Mai ein Supperclub "Bond, James Bond", bei dem passende Garderobe erwünscht ist, im Juni natürlich einige "EM-Specials" und am 2. Juli ein Abend mit dem Motto: "Nach mir die Ginflut".

"Wir sind die Kammerspielversion von Angeboten wie 'Palazzo' oder 'Pomp, Duck and Circumstances'", das Lagerfeuer der Event-Gastronomie", sagt Kemmler über das "gastrosophische" Konzept, Kulinarik, Kunst, Kultur und Gäste bei Veranstaltungen zusammenzubringen, bei denen es um mehr geht als Essen und Trinken.

Was man auch an der unbändigen Freude sieht, mit der die beiden regionalen kleinen Produzenten von guten Produkten nachspüren. "Wir sind noch beim Aufbauen der Beziehungen," berichtet Christian. "Weil wir keine Gastronomen sind, sind wir nicht in deren Szene drin. Das hat aber auch Vorteile: Dadurch, dass wir von der Küche daheim kommen, ist alles total nachvollziehbar, weil wir es auch so machen wie daheim. Bei Profiköchen sind die Abläufe völlig anders. Wir verstehen die Probleme des Privatkochs zu Hause, weil wir die alle selbst hatten und selbst gelöst haben." Kemmler erinnert sich daran, wie einmal zufällig ein Profikoch hereinkam, als sie gerade am Würstchenmachen waren. "Der war ganz fassungslos, dass wir das selbst machen. Vieles, an dem wir Spaß haben und was man zu Hause auch gut machen kann, wird ja von den Profis nie mehr selbst erledigt. Es gibt auch noch einen anderen Unterschied: Mit maximal 25 Leuten, die hier hereinpassen, bleibt es eine wirkliche Begegnung. Deshalb essen wir Köche und auch die Künstler immer mit."

In diesen Genuss kommt als nächstes der Stuttgarter Poetry-Slammer Hanz, mit mehr als 150 Siegen einer der Herausragenden seiner Zunft (18. Mai). Als Motto hat er "Oldschool" vorgegeben. Ihm folgt am 28. Juni Kemmlers guter Freund Matthias Tretter, der sich diesmal nichts Schottisches wünscht, sondern "DDR revisited". Trotzdem wird es da bestimmt nicht nur "Sättigungsbeilagen" geben.

Weitere Informationen im Internet unter www.meatingraum.de.

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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