Kultur deluxe:Die rechnerische Kulturhauptstadt

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Stastitisch gesehen, hat keine andere deutsche Metropole soviel Oper, Theater und Kunst wie München zu bieten

Franz Kotteder

Vor gut drei Jahren ging es im Münchner Stadtrat einmal darum, ob man sich nicht vielleicht doch bei der Europäischen Gemeinschaft um den Titel ,,Kulturhauptstadt Europas 2010'' bewerben solle.

Oberbürgermeister Christian Ude beendete die Diskussion letztlich mit dem schlagenden Argument, München sei per se schon eine europäische Kulturhauptstadt, und da wolle man doch lieber Augsburg bei seiner Bewerbung unterstützen.

Das war insofern ganz elegant, als das Kulturreferat es damals einfach verpennt hatte, die Bewerbungsunterlagen für die EU vorzubereiten. Andererseits aber spiegelte es auch wider, was viele der politischen Mandatsträger einfach für eine Wahrheit halten.

Tatsächlich gibt es ja so eine Art Minderwertigkeitskomplex in der Kulturszene der Stadt. Grantelei ist dem Münchner ohnehin nicht fremd, und bei jenen, die kulturell tätig sind, kommt vielleicht noch die urdeutsche Besonderheit hinzu, dass etwas, was man als seine ,,Arbeit'' betrachtet, nicht unbedingt auch noch Spaß machen sollte.

Weshalb eine beliebte Klage lautet: In München regierten halt die kulinarische, leicht konsumierbare Kultur und der Event, wohingegen die ernsthafte, avantgardistische Kunst mit Anspruch nur ein Nischendasein führe. Weshalb ein Künstler, der sich wirklich ernst nehme, eigentlich nur nach Berlin oder eine andere, wirklich europäische Großstadt gehen könne, nicht aber in München bleiben dürfe.

Es ist zwar was dran an diesem Vorwurf, auch wenn er meist von Leuten erhoben wird, die ein paar Jahre zuvor aus der tiefsten bayerischen oder einer anderen Provinz - gottfroh, derselben entronnen zu sein - in München angekommen sind.

Doch vor allem die arrivierte Kultur genießt in der Stadt hohes Ansehen; sie gilt als wirtschaftlicher Standortfaktor, der immer mal wieder hilft, ein Großunternehmen hier anzusiedeln, weil leitende Angestellte eben nicht nur arbeiten wollen und die Nähe zu den Alpen und zu Italien schätzen, sondern auch gerne mal in die Oper, zu den Philharmonikern oder in die Pinakothek der Moderne gehen, um kulturell auf dem Laufenden zu bleiben.

Das wissen nicht nur der Oberbürgermeister, der Wirtschaftsreferent und der Stadtkämmerer, und deshalb ist es in den vergangenen Jahren durchaus gelungen, existenziell bedrohliche Einsparungen bei den wichtigen Institutionen der Hochkultur zu vermeiden. Ähnliches gilt für den Freistaat Bayern, der ja einen beträchtlichen Anteil an den Kulturausgaben in München trägt.

Ist Berlin lebendiger?

Das Ergebnis: Man hat es in München mit einem Kulturangebot zu tun, wie es mit keiner anderen deutschen Stadt vergleichbar ist. Und wenn einem da jetzt sofort Berlin einfällt, dann sollte man vielleicht auch bedenken, dass die Hauptstadt gut zweieinhalbmal so viele Einwohner hat wie München.

Für Zahlenmenschen: Im Pro-Kopf-Vergleich hat München also deutlich mehr Opernhäuser, mehr Orchester, mehr Museen, mehr Theater, mehr Galerien und alles in allem auch wesentlich mehr Veranstaltungen als Berlin. Für die anderen deutschen Großstädte gilt das sowieso.

Hamburg, Frankfurt, Köln sind gewiss wichtige deutsche Kulturstädte mit großen Bühnen, bedeutenden Sammlungen und einer interessanten Off-Szene. Aber was die Fülle an städtischen und staatlichen Institutionen sowie an privaten Einrichtungen angeht, können sie mit München nicht mithalten.

Über die Qualität sagt das freilich erstmal gar nichts aus. Die ist schlecht messbar, und es kommt auch noch hinzu, dass bei jenen, die Qualität von Berufs wegen einzuschätzen haben, der Prophet im eigenen Lande oft wenig gilt, weshalb zum Beispiel mancher Münchner Künstler in München nur dann etwas hermacht oder gar erst entdeckt wird, wenn er in Berlin groß herausgekommen ist.

Das ist für Kunstschaffende dort sowohl einfacher als auch schwieriger: Je größer die Stadt, desto größer auch das Publikum, das für Neues und Ungewöhnliches offen ist. Umso größer aber die Konkurrenz, gegen die man sich durchsetzen muss.

Dazu kommen aber auch noch andere, sozusagen branchentypische Besonderheiten. Literaten zieht es angeblich oft weg, weil München ihnen zu ruhig und beschaulich und zu aufgeräumt ist - wobei Kollegen, die hierbleiben, gerne sagen, den Abgewanderten falle deshalb auch keine bessere Literatur ein.

In München fehlen Sammler

Bildende Künstler wiederum suchen den Erfolg in Köln oder in Düsseldorf, weil es in dieser Region mehr Galerien gibt, die Neues wagen und auf noch nicht Arriviertes setzen. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass es dort eine gewisse bürgerliche Tradition des Kunst-Sammelns gibt wie nirgendwo anders, und dieses Manko lässt sich weder durch noch so geschickte Kulturpolitik und -förderung noch durch engagierte Galeristen beheben.

Das Hauptproblem für die junge, unentdeckte Szene ist aber ein viel banaleres: die hohen Mieten. Nicht nur für die eigene Wohnung, das Problem haben schließlich alle mit einem unregelmäßigen Einkommen. Sondern im Speziellen auch für den Arbeitsraum.

Ateliers, Übungs- und Probenräume sind knapp in der Stadt und vor allem teuer und für die meisten Freischaffenden nicht bezahlbar. Städtische Hilfsprogramme gibt es zwar, aber die sind natürlich nur begrenzt wirksam. Das treibt viele aus der Stadt, die eigentlich schon hier bleiben wollen - dorthin, wo sich's billiger leben und arbeiten lässt.

Von derlei Widrigkeiten bekommt der gewöhnliche Kulturkonsument freilich kaum etwas mit. Die Veranstaltungskalender sind übervoll, und oft genug hat man die Qual der Wahl zwischen zig Angeboten, egal an welchem Wochentag.

Das hat sicher mit der Kaufkraft in der Stadt und der Region zu tun, denn so viel Kultur muss man sich ja erst einmal leisten können. Dass dabei oft der Spaß im Vordergrund steht, finden Puristen oft anstößig - selbst wenn sie gelegentlich zugeben, dass sie in Theatern, Ausstellungen und Konzerten auch nicht unbedingt gequält werden wollen.

So muss einem eigentlich nicht bange sein um den Rang Münchens als einer europäischen Kulturmetropole. Wenn der Politik noch etwas einfällt, wie man dem Nachwuchs - also den Humus, auf dem das alles wächst - bessere Arbeitsbedingungen verschafft, dann besteht keine Gefahr, in die Zweite Liga abzusteigen.

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