Kühner Plan:Ein weiß-blaues Venezuela

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Dirigent Mariss Jansons fordert für Bayern eine systematische musikalische Erziehung wie in dem südamerikanischen Land

Von Christian Krügel

Kinder und Jugendliche für klassische Musik begeistern - das geschieht meist durch einmalige Aktionen. Doch gerade für Kinder aus ärmeren Familien, deren Eltern sich Instrument und Musikschule nicht leisten können, mangelt es an nachhaltigen Aktionen. Etwa wie dem "Ikarus"- Projekt der städtischen Sing- und Musikschule: Dabei können Schüler Instrumente ausprobieren und zumindest Schnupperunterricht bekommen. Eine von vielen lobenswerten Initiativen - dennoch passiert aus Sicht von Mariss Jansons in Bayern immer noch viel zu wenig. "Auf Dauer können das Sponsoren alleine nicht bezahlen. Es ist eine staatliche Aufgabe, dafür die entsprechenden Strukturen zu schaffen", sagt der Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters. Die musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen ist eines der Herzensanliegen des 73-jährigen Letten - neben dem Bau eines Konzerthauses in München. Da nun das eine Projekt wohl bald realisiert wird, will er um das nächste kämpfen: systematische musikalische Bildung für alle Kinder aus allen Schichten. Der Dirigent sieht die Jugendorchesterbewegung "Sistema" in Venezuela durchaus als Vorbild für München und den Freistaat. In dem lateinamerikanischen Staat bekommen 350 000 Teilnehmer aus schlechten sozialen Verhältnissen in 180 Zentren kostenlos Leihmusikinstrumente und Unterricht. Das habe in Südamerika natürlich auch politische Hintergründe gehabt. "Aber jedes Land muss sich fragen, was seine Priorität ist. Die Ausbildung von Kindern muss dazugehören", sagt Jansons.

Nukleus eines solchen weiß-blauen "Sistemas" solle das neue Konzerthaus im Werksviertel werden. "Viele werden sagen: Der Jansons spinnt. Aber es bleibt mein großer Traum, in unmittelbarer Nähe dazu ein Musikzentrum für Kinder und Jugendliche zu schaffen", sagt er im Gespräch mit der SZ. Er träumt von einem Musikkindergarten und -schulzentrum: "Wer sehr talentiert ist, muss unabhängig von seiner sozialen Situation die Möglichkeit haben, sich da entwickeln zu können und ausgebildet zu werden." Aber auch das Konzerthaus selbst müsse Attraktion für Kinder und Jugendliche werden. Er könne sich eine große Musikbibliothek mit Videoräumen vorstellen, in denen sich jeder zu jeder Zeit Konzertfilme anschauen kann. Oder auch digitale Live-Übertragungen aus anderen Häusern, wie es die Metropolitan Opera erfolgreich anbiete. "Es muss ein lebendiges Haus sein, in das Kinder immer kommen können und in dem sie immer etwas erleben können", sagt Jansons.

Einziges Problem dabei: Der Platz dürfte auf dem Areal kaum ausreichen, bereits für das Konzerthaus musste das Raumprogramm kleiner geplant werden. Deshalb denkt der Dirigent weiter: "Wir könnten alle Flächen und Einrichtungen drumherum nutzen." Vieles sei offen, vor allem die Frage, ob sich der Staat ein solches Zentrum und ein solches System leisten wolle. "Aber wir müssen in Deutschland viel intensiver nachdenken, was wir für den Nachwuchs tun können."

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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