Kritik an Münchner Behörden:"Im Zweifel für die Bettler"

Lesezeit: 1 min

Nicht alle Bettler gehören zu organisierten Gruppen, sagt der Jurist Wolfgang Hecker. Er kritisiert die harte Haltung der Münchner Behörden im Umgang mit vermeintlichen Banden. Schließlich gebe es genug Menschen, die für den Eigenbedarf betteln.

Ronen Steinke

Als die Stadt München damit begann, Bettler in Erzwingungshaft zu nehmen, protestierte er lauthals. Der Jurist Wolfgang Hecker, der an der Fachhochschule für Polizei und Verwaltung in Wiesbaden lehrt, kritisiert nun, zwei Jahre später, auch das Vorgehen der Stadt gegen echte oder vermeintliche Bettelbanden.

Bettler werden oft vorschnell kriminalisiert. (Symbolbild) (Foto: ddp)

SZ: Herr Hecker, wenn die Polizei Mitglieder von Bettelbanden verhaftet, schadet sie dann nicht vor allem den Portemonnaies der Hintermänner?

Wolfgang Hecker: Bettler, die in Gruppen anreisen, können durchaus für ihren Eigenbedarf betteln.

SZ: Schon mehrmals haben in München Bettler vor Gericht bezeugt, dass sie mit Drohungen zum Betteln gezwungen wurden und den Großteil ihrer Einnahmen abgeben mussten. Im vergangenen Dezember erhielten drei Hintermänner deshalb Bewährungsstrafen wegen Nötigung.

Hecker: Ich zweifle nicht an, dass es das gibt. Was mich stört, ist die Pauschalierung.

SZ: Was meinen Sie?

Hecker: Es gibt natürlich so etwas wie organisiertes Anreisen, das heißt etwa: Menschen, die gemeinsam in Osteuropa in einen Bus einsteigen. Man kennt in München sogar Geschichten von Bettlern, die morgens als Gruppe aus dem Bus aussteigen und abends wieder in den Bus einsteigen. Trotzdem ist es falsch, gleich den Schluss zu ziehen: Wenn solche Menschen kollektiv auftreten, dann müssen böse Hintermänner im Spiel sein.

SZ: Wenn aber sogar die Betteleinnahmen regelmäßig am Tag abgeschöpft werden, wie dies die Polizei berichtet?

Hecker: Dann muss das immer noch kein Hinweis auf Kriminalität sein. Aus der Stadt Wien zum Beispiel gibt es recht genaue Berichte, wonach die Bettlergruppen ihr Kleingeld erst beiseite schaffen, seit die Polizei damit begonnen hat, ihre Einnahmen zu beschlagnahmen. Das heißt: Dieses Beiseiteschaffen kann auch Selbstschutz sein.

SZ: Sie sagen "kann". Gibt es denn Erkenntnisse dazu, wie oft dies so ist?

Hecker: Eine systematische kriminologische Forschung zu Bettelgruppen in Deutschland gibt es überhaupt nicht. Auch die Polizei führt keine Statistiken.

SZ: Worauf stützen Sie dann Ihre Kritik, die Behauptungen über Bettelbanden seien aufgebauscht?

Hecker: Ich sehe es eher andersherum. Städte wie München, die eingereiste Bettler recht schnell zu Bandenmitgliedern abstempeln, bleiben den Beleg dafür oft schuldig. Dann aber hat zu gelten: Im Zweifel für den Angeklagten, im Zweifel für die Freiheit dieser Menschen, die niemandem Schaden zufügen.

© SZ vom 24.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken
OK