Kriegsverbrecher-Prozess:"Übernehmen Sie endlich Verantwortung"

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Angeklagt wegen Mordes an 14 italienischen Zivilisten: Zum Prozessauftakt streitet der mutmaßliche Kriegsverbrecher Josef S. alle Vorwürfe ab.

Alexander Krug

Der wegen Mordes an 14 Zivilisten in Italien 1944 angeklagte ehemalige Wehrmachtsleutnant Josef S. bestreitet jede Beteiligung an dem Kriegsverbrechen. Die Anklage beruhe nur auf "Vermutungen und oberflächlichen Schlussfolgerungen", kritisierten seine Verteidiger zum Prozessauftakt im Schwurgericht. Die Nebenklage forderte den 90-jährigen S. dagegen im Namen der Angehörigen auf, "endlich Verantwortung zu übernehmen".

Bestreitet alle Vorwürfe: der 90-jährige Angeklagte Josef S. soll für 14 Morde im italienischen Dorf Falzano im Jahr 1944 verantwortlich sein. (Foto: Foto: Haas)

Großes Gedränge herrschte im Sitzungssaal des Schwurgerichts, als der an einer Krücke gehende Josef S. durch einen Nebeneingang hereingeführt wurde. Er kam als freier Mann, da es für eine Untersuchungshaft aus Sicht der Staatsanwaltschaft keine Gründe gibt, also weder Flucht- noch Verdunklungsgefahr besteht.

Vor Sitzungsbeginn hatte eine kleine Gruppe von Demonstranten vor dem Justizgebäude daran erinnert, dass der "Gebirgsjägerkamerad" Josef S. noch heute vom "Kameradenkreis der Gebirgstruppe" vorbehaltlos unterstützt werde, obwohl ein italienisches Gericht S. bereits im September 2006 in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt hatte.

Die italienischen Ermittlungen führten letztlich auch in Deutschland dazu, dass Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz Anfang dieses Jahres Anklage wegen 14-fachen Mordes erhob. S. führte im Juni 1944 eine Kompanie des Gebirgs-Pionier-Bataillons 881, das den deutschen Rückzug vor den alliierten Truppen sichern sollte. Nach einem Partisanenüberfall in dem toskanischen Weiler Falzano di Cortona, bei dem ein Gefreiter und ein Unteroffizier erschossen wurden, soll er den Befehl zu einem Vergeltungsschlag gegeben haben. Dabei kamen insgesamt 14 Zivilisten ums Leben.

"Können Sie mich gut verstehen", fragte Richter Manfred Götzl den mit einem speziellen Hörgerät lauschenden Angeklagten. "Ja", antwortete dieser laut und deutlich. Selber zu den Vorwürfen Stellung nehmen wollte Josef S. aber nicht. Das überließ er seinen Verteidigern. Anwalt Christian Stünkel aus Jena erklärte, sein Mandant habe zu strittigen Zeitpunkt nur den Befehl erhalten, eine von Partisanen zerstörte Brücke wieder instand zu setzen: "Dieser Befehl hatte oberste Priorität."

Der Angeklagte habe weder einen Befehl für einen Vergeltungsschlag erhalten noch jemals einen solchen vorbereitet oder ausgeführt. Von der Ermordung der Zivilisten habe sein Mandant "überhaupt keine Kenntnis". Im Übrigen wäre eine solche Tat "mit Sicherheit durch die Gerichtsbarkeit der deutschen Wehrmacht verfolgt und geahndet worden", betonte der Anwalt, worauf er höhnisches Gelächter aus dem Zuhörerraum erntete.

Stünkel kritisierte die "Vorverurteilung" seines Mandanten in den Medien, die durch die Münchner Staatsanwaltschaft noch gefördert worden sei. Deren Ermittlungen seien völlig unzureichend, da sie "keinen einzigen Augen- oder Ohrenzeugen" der Tat benennen könnte. Schließlich sei aufgrund des hohen Alters des Angeklagten auch die "Grenze der Verhandlungsfähigkeit" überschritten.

Demonstranten vor dem Justizgebäude prangern die Kameradschaft der Gebirgsjäger an, zu denen auch der Angeklagte Josef S. zählt. (Foto: Foto: ddp)

Aus Sicht der Verteidiger sei es "aus grundsätzlich rechtsstaatlicher Sicht unverantwortlich", einen 90-Jährigen einer solchen Verhandlung auszusetzen. Die Anwälte behalten es sich daher vor, eine Einstellung des Verfahrens zu beantragen.

In ähnlicher Weise wies sein Kollege auch der zweite Anwalt, Rainer Thesen aus Nürnberg, alle Vorwürfe zurück. Als ehemaliger Bundeswehroffizier, sagte Thesen, wisse er um Befehlsstrukturen, und aus diesem Wissen heraus sei es undenkbar, dass Josef S. jemals einen solchen Befehl gegeben oder eine solche Aktion geleitet haben könnte. Ein solcher Befehl habe nur von "höherer Stelle geplant und koordiniert" werden können, nicht aber vom Leutnant Josef S. Es sei "vielmehr höchst wahrscheinlich, dass andere Soldaten als der Angeklagte für die angeklagten Taten verantwortlich sind".

Bei seiner Aufzählung möglicher anderer Einheiten verwies Thesen auch auf Mussolini-treue italienische Brigaden, die als "italienische SS" zur Partisanenbekämpfung eingesetzt worden seien. Der Anwalt und Reserveoffizier Thesen stellte schließlich den Beweisantrag, den ehemaligen Obersten und Publizisten Klaus Hammel als "militärhistorischen Sachverständigen" zu laden, da nur dieser aufgrund seines "militärischen Spezialwissens" zur Beurteilung der Vorgänge in Italien 1944 in der Lage sei.

Der Beweisantrag des Verteidiger stieß bei der Staatsanwaltschaft und der Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke auf wenig Verständnis. Sie vertritt als Nebenklägerin die Interessen von 19 Hinterbliebenen der Opfer von Falzano: "Meiner Mandantschaft geht es darum, dass der Angeklagte endlich Verantwortung übernimmt. Darauf haben sie 64 Jahre gewartet." Der Beweisantrag der Verteidiger überrasche sie schon deshalb, weil er schon längst hätte gestellt werden können.

Der weißhaarige Josef S. lauschte den Ausführungen seiner Verteidiger mit teils geschlossenen Augen. Als Richter Götzl nachfragte, ob er sich deren Aussagen zueigen mache, kam ein lautes und klares "Ja". Sein ursprünglich angeküngdigter dritter Verteidiger, der Münchner Anwalt Klaus Goebel, erschien am Montag nicht. Ihm werden enge Kontakte zur Nazihilfsorganisation "Stille Hilfe" nachgesagt. Bekannt wurde am Montag auch, dass von den 22 geladenen Zeugen bereits sechs verstorben sind.

Der Prozess wird am 29. September fortgesetzt.

© SZ vom 16.09.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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