Kosten-Abrechnung:Die rätselhafte Flüchtlingsbetreuung

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Im Herbst 2015 kamen plötzlich sehr viele junge Flüchtlinge nach München, die betreut werden mussten. Doch schon im Jahr darauf ging ihre Zahl wieder deutlich zurück. (Foto: Florian Peljak)

Illegale Verträge, keine Kontrollen der Einrichtungen und Ausgaben, die womöglich nie erstattet werden: Warum das Jugendamt nun gehörig unter Druck steht

Von Thomas Anlauf, Heiner Effern

Wegen Fehlern bei der Abrechnung von Flüchtlingskosten wird das Jugendamt schon zum zweiten Mal innerhalb gut eines Jahres gebeutelt. Beide Male geht es um die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Die Schlampereien beim Einfordern von Kosten, die die Stadt für andere Kommunen übernommen hatte, kosteten 2016 der damaligen Sozialreferentin Brigitte Meiner (SPD) ihren Job. Anfangs stand ein möglicher Schaden von 240 Millionen Euro im Raum. Eine Task Force hat über Monate nachgearbeitet, fast das ganze ausstehende Geld wird an die Stadt zurückfließen. Nun geht es um Verträge, die das Jugendamt mit freien Trägern abgeschlossen hat. Der Bericht des Revisionsamts dazu wird am Dienstag dem Rechnungsprüfungsausschuss vorgelegt.

Welche Verträge moniert das Amt?

Die Stadt hat im Oktober 2014 den "Jugendhilfeverbund unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge" mit der Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge beauftragt. Die in dem Verbund zusammengeschlossenen Träger mussten für ihre Pädagogen keine Tagessätze mehr abrechnen, sie erhielten stattdessen eine Pauschale. Der zweite beanstandete Vertrag wurde am 31. Mai 2016 abgeschlossen. Darin wurde der Verbund mit der weiteren Versorgung der jungen Menschen beauftragt. Auch die Konditionen wie der Betreuungsschlüssel wurden festgelegt.

Warum halten die Prüfer diese Kontrakte für problematisch?

Die pauschale Beauftragung der freien Träger führt dazu, dass die Stadt nicht weiß, welcher Pädagoge tatsächlich wann welche Jugendlichen betreut hat. Es ist nicht einmal klar, welcher Träger wie viel beigetragen hat. Die beauftragten Organisationen wurden laut Revisionsamt nie kontrolliert. Die pauschale Vergabe verursacht noch ein zweites, drängendes Problem: Grundsätzlich kann die Stadt ihre Ausgaben vom Bezirk Oberbayern zurückverlangen. Der rechnet aber ausschließlich über Tagessätze ab. Nun rätseln alle Beteiligten, wie und ob die Stadt überhaupt ihr Geld zurückbekommt. Auch den zweiten geprüften Vertrag vom 31. Mai 2016 hätte das Jugendamt laut Revisionsamt nicht ohne Billigung des Stadtrats abschließen dürfen. Der umgesetzte Personalschlüssel sei zudem zu hoch angesetzt gewesen.

Wie viel Geld fehlt der Stadt?

Das traut sich im Moment niemand zu sagen. Klar ist nur: Die Verträge haben einen beachtlichen Umfang. Das Revisionsamt stellte in einer Stichprobe fest, dass alleine im Juni 2016 etwa 1,6 Millionen Euro für Pädagogen ausgegeben wurden, die nicht benötigt wurden. Zwischen Januar und Mai 2016 seien nach wörtlicher Auslegung des Vertrags zwischen 220 und 351 Vollzeitstellen zu viel bezahlt worden. Pro Stelle rechnet das Revisionsamt mit etwa 85 000 Euro im Jahr.

Wieso entstehen die Probleme gerade bei der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge?

Die Versorgung der jungen Menschen, die ohne Eltern nach Deutschland kommen, ist die mit Abstand anspruchsvollste und teuerste. Im Jahr 2013 erreichten München 554 Neuankömmlinge, das Jahr darauf waren es bereits 2614. Im historischen Jahr 2015 kamen 10 319 minderjährige Flüchtlinge in München an.

Wer betreute diese jungen Menschen?

Das Jugendamt, das wegen einer Krankheit in dieser Zeit auch noch ohne Leitung arbeiten musste, konnte die Situation nur mit Hilfe von außen meistern. Freie Träger bauten aus dem Nichts eine Struktur auf, die erstaunlich gut funktionierte. Das wird allseits zugestanden. Doch als im Jahr 2016 deutlich weniger Flüchtlinge in München ankamen, hatten die vielen Pädagogen plötzlich nicht mehr ausreichend Arbeit. Diese Überkapazitäten verursachten nun Kosten, die auch durch den Vertrag vom 31. Mai 2016 laut Revisionsamt nicht ausreichend eingedämmt wurden.

Wer gehört zum Verbund?

Zusammengeschlossen sind überwiegend kleine freie Träger, im Moment sind es neun: Condrobs, die Diakonie Hasenbergl, die Diakonie Jugendhilfe Oberbayern, die heilpädagogisch-psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfe, die Katholische Jugendfürsorge München, der Kinderschutz, der Sozialdienst katholischer Frauen, der Verein für Sozialarbeit und der Verein für Jugend und Familie.

Warum sind hier nicht die großen Spitzenverbände der Wohlfahrt engagiert?

Das geht aus dem Bericht nicht hervor. Die großen Organisationen wie Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz, Diakonie oder Caritas reagieren durchaus eifersüchtig. Sie sähen die "sich etablierenden Parallelstrukturen" bei der Flüchtlingsbetreuung kritisch, sagt Caritas-Landesgeschäftsführer Norbert J. Huber - und stünden bereit, künftig die Erstbetreuung der jugendlichen Flüchtlinge zu übernehmen.

Von wem kann die Stadt noch Geld zurückbekommen?

Als erstes natürlich vom Bezirk Oberbayern. Womöglich könnte oder müsste sie von den freien Trägern die Honorare für zu viel beschäftigte Pädagogen einfordern.

Wie geht es politisch weiter?

Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) wünschte sich ein schnelles nachträgliches Absegnen der ungültigen Verträge durch den Stadtrat. Doch nicht einmal ihre eigene Fraktion macht da beim derzeitigen Kenntnisstand mit, wie sie am Donnerstag ausdrücklich erklärte. Das Rathausbündnis fordere erst einmal maximale Aufklärung, das sei man sich mit der CSU einig. Von einem Streit könne keine Rede sein. Juristen müssten den Sachverhalt prüfen. Bis dahin könne angesichts der komplexen Materie auch ein Jahr vergehen.

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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