Kongress in München:Gekommen, um zu reden

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Seelsorge ist Teil des Alltags in den Kliniken, das zeigen schon die Kapellen wie hier im Pasinger Krankenhaus. (Foto: Florian Peljak)

Früher waren Krankenhausseelsorger die, die plötzlich erschienen, wenn alles zu Ende ging. Heute sind sie Begleiter der Patienten, sie hören zu, fühlen mit, manchmal beten sie. Auch die Ärzte legen auf diese Arbeit zunehmend Wert

Von Jakob Wetzel

Die Angst sitzt tief: Wenn im Krankenhaus der Seelsorger kommt, dann ist es für alles andere zu spät. Auch Martina Schlüter kennt das: Sie betritt einen Raum, und der Patient wird blass. "Hat Sie jemand geschickt?", fragt er dann. Oder: "Ich brauche Sie nicht, ich sterbe nicht!" Dabei kommt sie nur, um zu reden.

Schlüter ist Krankenhausseelsorgerin; seit sieben Jahren arbeitet sie für die katholische Kirche in der Klinik Augustinum in München-Hadern. Sie geht zu Kranken, die mit ihren Diagnosen hadern, und sie steht Angehörigen bei, die mit ihren Verwandten bangen. Wenn Schlüter von ihrem Alltag erzählt, dann spricht sie von einem Beruf, der sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gewandelt hat - weg vom Pfarrer, der schnell gerufen wird, um nach festem Muster die Krankensalbung vorzunehmen, hin zu einem Begleiter, der von sich aus zu Patienten kommt und ihnen individuell zuhört. So wie etwa dem jungen Mann mit der schlimmen Herz-Diagnose, von dem Schlüter erzählt. Er hatte nichts geahnt, von einem Tag auf den anderen verlor er den Boden unter den Füßen. Schlüter ließ ihn erzählen und weinen, sie fühlte mit, durch Höhen und Tiefen.

Schlüter ist da, wenn ein Kranker über etwas anderes reden will als über seine Krankheit, Diagnose oder Therapie. Doch das ist nicht alles. Krankenhausseelsorger sind zwar in Deutschland nicht Teil einer Klinik, aber sie sind in sie eingebunden, arbeiten mit Krankenschwestern, Pflegern und Ärzten zusammen, und sind für alle da, für Gläubige aller Religionen, auch für Konfessionslose. "Fragen über ihr Leben stellen sich alle", sagt Schlüter. "Ich erlebe auch Konfessionslose nicht als ungläubig." Und sie kümmert sich nicht nur um Kranke. Wenn sie aus einem Patientenzimmer komme, erzählt sie, frage sie manchmal scherzhaft in die Runde: Hat sonst noch einer Bedarf? Es komme oft vor, dass auch Ärzten und Pflegekräften die Arbeit nahe geht; dann hat sie auch für sie ein offenes Ohr. Sie ist nicht nur für die Kranken da, sondern für das ganze Haus.

An diesem Mittwoch versammeln sich katholische und evangelische Krankenhausseelsorger aus ganz Deutschland zu einem Kongress in München, um sich besser zu vernetzen; es ist der erste seiner Art. Etwa 2400 Seelsorger arbeiteten bundesweit in Kliniken, sagt Thomas Hagen, Geschäftsführer des Kongresses und Hauptabteilungsleiter im Erzbischöflichen Ordinariat in München. Im Erzbistum seien es allein auf katholischer Seite 90, also jeder vierzehnte katholische Seelsorger überhaupt. Krankenhausseelsorge sei einer der größten Querschnittsbereiche der Kirche.

Im Klinikum rechts der Isar, im Klinikum Großhadern und in der Katholischen Stiftungsfachhochschule in Haidhausen besuchen die Seelsorger nun bis einschließlich Freitag Workshops etwa zur Seelsorge mit Kindern oder mit Demenzkranken. Sie tauschen Ideen aus, um die Zusammenarbeit mit den medizinischen Teams zu verbessern oder lassen sich von Erfahrungen aus dem Ausland berichten. Das Interesse sei groß, der Kongress überbucht, sagt Hagen. 350 Teilnehmer zähle er. Denn die Herausforderungen sind groß.

Das liege auch daran, dass Menschen ihren Glauben heute vielfältiger lebten als früher, sagt Hagen. Er selbst hat als Fachreferent für Palliativpflege im Klinikum Großhadern gearbeitet; er erzählt etwa von einem Mann, der sich segnen lassen wollte, aber leise: Denn Worten der Kirche könne er keinen Glauben schenken. Hagen erklärte ihm daraufhin vorab, worum er im Stillen bitten würde, und so tat er es. Danach wollte der Mann seine Tochter segnen, die neben dem Krankenbett saß; er wollte ihr sagen, was er ihr wünschte, auch wenn er es nicht mehr erleben würde. Hagen half ihm dabei. Konkrete Vorgaben gibt es für solche Situationen nicht. "Aber der Segen für sich, und dass er seine Tochter segnen konnte, das hat den Mann offenbar in seiner Spiritualität sehr bewegt."

Auch von Seiten der Ärzte schlägt den Seelsorgern gestiegene Wertschätzung entgegen. In der Palliativmedizin sei Seelsorge ohnehin zentral, sagt Claudia Bausewein, Leiterin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität in Großhadern. "Schmerzen oder auch Atemnot sind kein rein körperliches Problem", bei Ängsten werde beides stärker erlebt. Seelsorge könne hier eine große Hilfe sein. Und manchmal sei ein Seelsorger auch "Sprachrohr des Patienten", wenn sich der selbst vielleicht nicht richtig äußern kann, sagt Bausewein.

"Das Bewusstsein steigt, dass Spiritualität eine Dimension ist, die der Mensch hat und braucht", sagt Hagen. Vom Kongress erhoffe er sich unter anderem, dass Seelsorge in den medizinischen Abläufen noch selbstverständlicher werde, dass sie zum Standard werde. Bislang hänge noch viel vom Träger oder den Chefärzten einer Klinik ab. Vielleicht könne man auch einen Impuls setzen, um die Kranken auch nach ihrer Entlassung in den Pfarreien stärker in den Blick zu nehmen, insgesamt vernetzter zu denken. Und wenn es gut laufe, könne man den Kongress gerne wiederholen.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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