Kommentar:Zu viele - und doch zu wenige

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Aufs ganze gesehen gibt es in der Stadt eigentlich genügend Ärzte - sie gilt sogar als überversorgt. Aber beim Blick auf die einzelnen Stadtviertel ändert sich dieser Eindruck dramatisch

Von Kim Björn Becker

Wenn eine Berufsgruppe im Land gerade besonders umworben wird, dann sind es die Hausärzte. Gerade in manchen ländlichen Regionen gibt es viel zu wenige von ihnen, und so zerbrechen sich Gesundheitspolitiker im Berliner Regierungsviertel die Köpfe darüber, wie man die Zahl der Landärzte rasch erhöhen kann. Die Not ist so groß, dass man derzeit sogar überlegt, einen Teil der Medizinstudienplätze für jene Bewerber zu reservieren, die sich dazu verpflichten, später einmal für eine gewisse Zeit als Landarzt zu arbeiten. Doch das deutsche Gesundheitssystem wäre nicht das deutsche Gesundheitssystem, wenn es nicht auch bei der Bedarfsplanung der Ärzte kuriose Szenen gäbe. Und da kommt die bayerische Landeshauptstadt ins Spiel: München gilt zwar als stark überversorgt, es gibt also mehr Hausärzte als eigentlich nötig sind, doch diese sind alles andere als gleichmäßig verteilt. In den attraktiven Ecken der Stadt reiht sich Praxis an Praxis, andernorts müssen Patienten weite Strecken zu ihrem Arzt zurücklegen.

Dieses Missverhältnis zeigt, dass die ärztliche Bedarfsplanung in ihrer gegenwärtigen Form ihr Ziel verfehlt. Zwar steuern Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung, wer sich wo niederlässt. Doch das System ist viel zu uneinheitlich, um gute Ergebnisse liefern zu können. Anders als etwa bei Bundestagswahlkreisen, die immer in etwa gleich viele Wahlberechtigte bündeln, sind die Planungsbereiche für Ärzte unterschiedlich groß. Der Bezirk für München ist mit seinen zwei Millionen Einwohnern geradezu riesig. Zum Vergleich: Der Planungsbereich Berchtesgaden gilt für gerade einmal 24 000 Menschen.

Nun ist es aber nicht so, dass die Gremien des Gesundheitswesens keine Chance hätten, auf derlei Fehlentwicklungen zu reagieren. Es gibt durchaus die Möglichkeit, diese Regionen aufzuteilen. Das ist in den vergangenen Jahren denn auch mehrfach geschehen, die Zahl der Einheiten im Freistaat kletterte von 137 auf 199, es wurden also rechnerisch 31 Kreise halbiert. Nur München war eben nie dabei, mit gravierenden Folgen für die Patienten. Die Lösung des Problems wäre also recht einfach - und ist doch wieder kompliziert. Denn wenn der Planungsbereich München nun aufgeteilt würde, würden in den unterversorgten Gebieten neue Arztsitze frei - diese aufzufüllen, ist zwar für die Patienten wünschenswert, allerdings würde den etablierten Ärzten ein Teil ihrer Patienten abhanden kommen. Und so geht mal wieder um die oft gegenläufigen Interessen von Ärzten und Patienten. Es ist ein Dilemma - willkommen im deutschen Gesundheitssystem.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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