Kommentar:Warum Reiter die SPD rüffelt

Lesezeit: 1 min

An seiner eigenen großen Koalition gefällt dem Oberbürgermeister nicht alles, er weiß aber auch um ihre Vorteile. Mit einer klaren Botschaft meldet er sich nun zu Wort und fordert dies auch für Berlin. Auch weil er darin eine Chance für München sähe

Von Heiner Effern

Über einen Verdacht ist Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sicher erhaben: dass er sich zu sehr in die Interna seiner Partei einmischt. Das mag daran liegen, dass er gar keine Lust darauf hat - was er so natürlich nie sagen würde. Ein Grund dafür ist wohl auch, dass er sozusagen ein Quereinsteiger ist: Reiter kommt aus der Verwaltung, er wechselte aus einem Referentenbüro an den Chefschreibtisch. Ausufernde Hinterzimmer-Veranstaltungen mit theoretischen Grundsatzdiskussionen sind ihm fremd geblieben. Er teilt ihre Grundsatzwerte, am wohlsten fühlt er sich aber, wenn seine Partei ihn nicht zu sehr bei der Arbeit stört.

Umso bemerkenswerter ist es, dass sich der OB nun derart kritisch zur SPD äußert. Es gelte, "die Interessen für unser Land vor Parteiinteressen zu stellen. Das gilt insbesondere auch für meine Partei, die SPD", schrieb er am Mittwoch in einer Mitteilung "zur Regierungsbildung in Berlin". Neuwahlen dürften nur die allerletzte Lösung sein, alle müssten nun miteinander reden. Dass sich die SPD in einer politisch brisanten Situation aus Gründen der Parteitaktik so ziert, mit der Union zu verhandeln, geht Reiter völlig gegen den Strich. Er kennt aus eigener Erfahrung die Mühen einer großen Koalition: die Nickligkeiten, die Fußangeln, das Ringen um Kompromisse und öffentliche Aufmerksamkeit. Aber er schätzt auch die breite Mehrheit, die Gewissheit, nicht wegen einer fehlenden Stimme bei wichtigen Entscheidungen unter Druck zu geraten. Eine Verweigerung um der Verweigerung willen nervt ihn. Auch in der SPD-Stadtratsfraktion fragen sich viele, woher die in Berlin die Überzeugung nehmen, dass vier Jahre Opposition das Allheilmittel für eine Regeneration nach der desaströsen Bundestagswahl seien.

Das alles hätte vielleicht noch nicht gereicht für eine so deutliche Botschaft an die Bundes-SPD. Reiter sieht aber gerade eine sehr pragmatische Möglichkeit, in Verhandlungen über eine große Koalition die dramatischen Probleme der Großstädte anzugehen: Sie benötigen dringend mehr Hilfe vom Bund im Kampf gegen explodierende Mieten und den Verkehrsinfarkt in ihren Zentren. Für eine solche Chance mischt sich Reiter sogar in die Interna seiner Partei ein.

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: