Kommentar:Warnzeichen gab es genug

Viele Millionen Euro könnte die Stadt verlieren, weil sie es nicht schafft, die Anträge auf Kostenerstattung bei der Flüchtlingsunterbringung zu stellen. Ein Versagen der Verwaltung, die nun um Hilfe ruft

Von Sven Loerzer

Kein Kaufmann kann es sich leisten, Waren zu liefern, ohne Rechnungen zu stellen. Das Stadtjugendamt dagegen bietet das an: Unterbringen und Betreuen von minderjährigen Flüchtlingen, die ohne ihre Eltern in München angekommen sind, über Jahre hinweg, ohne sich die Kosten dafür erstatten zu lassen. Natürlich lässt sich einwenden, dass angesichts der stark gestiegenen Zahl erst einmal die angemessene Versorgung organisiert werden musste. Dass aber die Stadt deshalb auf Kosten in Millionenhöhe sitzen zu bleiben droht, lässt sich auch mit dem tatsächlich aufwendigen Erstattungsverfahren nicht mehr rechtfertigen.

Denn Warnzeichen gab es genug. Die Personalsituation in der zuständigen Jugendamtsabteilung hielt mit der gestiegenen Zahl von Fällen längst nicht mehr Schritt, die Mitarbeiter fühlten sich überlastet und alleingelassen. Auf die Alarmzeichen aus dieser Abteilung aber haben die Vorgesetzten offenbar erst spät und nicht ausreichend reagiert. Zu Sondereinsätzen wurden die Auszubildenden zusammengezogen, um die etwa 10 000 Akten zu sichten und nach dem Fristablauf für die Kostenerstattung zu ordnen. Dann suchte das Sozialreferat nach Mitarbeitern, die ihre Stundenzahl aufstocken wollen oder zu Überstunden bereit sind, um die Abrechnungen zu erstellen. Um alles überhaupt noch zu schaffen, sollen nun sogar Beschäftigte aus anderen Referaten aushelfen.

Wenn jetzt der Oberbürgermeister das Sozialreferat offiziell bittet, alles zu tun, um offene Forderungen "möglichst umfassend zu realisieren", dokumentiert dies das ganze Versagen der Verwaltung. Eigentlich wäre dies eine Selbstverständlichkeit, aber es ist Dieter Reiters erschütternder Ausruf: Die Rechnung, bitte, bitte!

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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