Kommentar:Unwürdige Zustände

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Die Flüchtlingsunterkunft, in der Bettwanzen die Bewohner plagen, hätte schon längst geschlossen werden müssen

Von Thomas Anlauf

Der Stadtrat war empört und das Sozialreferat protestierte, als im Frühjahr die unhygienischen und völlig beengten Zustände in der staatlichen Flüchtlingsunterkunft der Funkkaserne bekannt wurden. Völlig zu recht. Die Regierung von Oberbayern bemühte sich daraufhin, die Situation für die Menschen zu verbessern. Dem Sozialreferat war jedoch zu diesem Zeitpunkt längst bekannt, dass es auch in einer ihrer eigenen Gemeinschaftsunterkünfte mit mehr als 300 Geflüchteten ein massives Problem gibt - mit Bettwanzen. Seit etwa einem Jahr soll dort das Ungeziefer massenhaft auftreten, regelmäßig kommt ein Kammerjäger, um die Zimmer von den Wanzen zu befreien. Ansonsten empfiehlt das Sozialreferat den Menschen, die dort zum Teil seit Jahren mit einer Aufenthaltserlaubnis leben, doch ihre Kleider bei 60 Grad zu waschen.

Das ist zynisch. Nicht die Bewohner der Unterkunft sind an den hygienischen Zuständen schuld, sondern die Politik. Sie muss sich darum kümmern, dass Menschen, die in München leben, nicht mit Ungeziefer hausen müssen. Die sogenannte dezentrale Gemeinschaftsunterkunft - das klingt fast schon kuschlig - ist überhaupt nicht für Wohnen ausgelegt. Es ist ein ehemaliges Geschäftsgebäude, das 2015 eigentlich nur vorübergehend für Geflüchtete als Heim genutzt werden sollte. Damals kamen täglich Tausende Menschen in München an und das Sozialreferat akquirierte oft innerhalb weniger Stunden Schlafplätze für die Neuangekommenen. Es war ein gewaltiger Kraftakt für die Mitarbeiter der Stadt.

Doch die Situation hat sich seit Jahren entspannt. Das Gebäude an der Hofmannstraße hätte längst geschlossen werden müssen, die Menschen in würdigeren Wohnungen untergebracht werden sollen. Stattdessen behilft sich das Sozialreferat mit kosmetischen Maßnahmen, um die Wanzenplage zumindest etwas einzudämmen. Nun, da bekannt wird, dass Kleinkinder, die in München geboren sind, in städtischen Unterkünften zwischen Wanzen leben müssen, bittet das Sozialreferat Bund und Land um Unterstützung. Mit Fingern nur auf den Staat zu zeigen, obwohl man Abhilfe selbst in der Hand hätte, ist schäbig.

© SZ vom 14.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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