Kommentar:Recht sprechen, Respekt wahren

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Rechtsfragen sind keine Glaubensfragen: Wenn Richter von einer Frau verlangen, ihren Schleier abzulegen, muss sie sich beugen. Andererseits täten sie gut daran, die Verhältnismäßigkeit zu wahren

Von Christian Rost

Es geht um die Würde des Gerichts und das Recht des Einzelnen, seine Religion frei auszuüben. Wenn sich eine Muslimin, wie nun am Landgericht geschehen, weigert, während ihrer Aussage als Zeugin den Gesichtsschleier abzulegen, dann erkennt sie eine staatliche Institution nicht an, die ausschließlich an Recht und Gerechtigkeit orientiert ist und nicht an Glaubensfragen. Erst als die Richterin der Frau Ordnungshaft androhte, lüftete sie ihren Schleier.

In diesem Fall prallen die Regeln eines demokratischen Rechtsstaats und religiöse Grundsätze aufeinander. Was ist das höhere Gut? Der Auftrag der Justiz, die Wahrheit herauszufinden und Recht zu sprechen? Oder die religiösen Gefühle des Einzelnen? In Deutschland ist der Staat zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Zwar genießen Religionsgemeinschaften durch die Religionsfreiheit einen besonderen Schutz, das geht aber nicht so weit, dass aus Glaubensgründen das Recht gebogen oder anders ausgelegt werden kann. Gleiches Recht für alle. Wenn ein Gericht der Auffassung ist, dass es zur Wahrheitsfindung einen Zeugen von Angesicht zu Angesicht sehen muss, dann muss sich dieser beugen. Da kann es keine Rolle spielen, aus welchem Kulturkreis er kommt oder welcher Religion er angehört. Rechtsfragen sind nun einmal keine Glaubensfragen.

Die Gerichte tun aber gut daran, genau abzuwägen, wann eine Zwangsmaßnahme angemessen ist, um zum Beispiel das Ablegen eines Schleiers zu erwirken. Im Fall der Muslimin, die in einem banalen Beleidigungsprozess aussagen musste, wäre eine Ordnungshaft sicher übertrieben gewesen. Es gilt, die Verhältnismäßigkeit zu wahren; auch dazu sind Gerichte verpflichtet. Überhaupt sollten sie sich in einer Zeit, in der Tausende Flüchtlinge ins Land kommen, auf derlei Fälle besser vorbereiten. Es gilt, Recht zu sprechen und den Respekt vor dem Anderen nicht aus den Augen zu verlieren.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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