Kommentar:Ordentliche Watschn

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Der heftige Streit um die Flüchtlingspolitik im Rathaus wirft jetzt vor allem eine Frage auf: Wie wollen Oberbürgermeister Dieter Reiter und sein Vize Josef Schmid künftig noch zusammenarbeiten?

Von Nina Bovensiepen

Seinen Sommerurlaub hat Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter mit Familie in St. Peter-Ording verbracht, und er sieht gut erholt aus nach dieser Zeit. Jetzt ist Wechsel im Rathaus, Reiter übernimmt wieder die Geschäfte, sein CSU-Stellvertreter Josef Schmid verschwindet an die Adria - wobei es fraglich erscheint, ob bei diesem die Erholung so schnell einsetzen wird. Denn zuvor hat ihm Reiter öffentlich eine ordentliche Watschn mitgegeben. In harten Worten ("absolut unsäglich") hat der SPD-Politiker kritisiert, welchen Schaden der Vize mit falschen und teils irreführenden Aussagen in einem Interview zur Flüchtlingspolitik während Reiters Urlaub angerichtet habe. Für das Image der Stadt. Für die Sache.

Nun ist es im politischen Betrieb nicht ungewöhnlich, dass auch mal deftige Worte fallen. Doch die Kritik von Reiter geht über das gewohnte Maß weit hinaus, in der Wortwahl wie inhaltlich. Als zweiter Bürgermeister sei Schmid für dieses Thema nicht zuständig, also habe er Kompetenzen überschritten, sagt Reiter. Und falls er als Urlaubsvertreter des Oberbürgermeisters gehandelt habe, so habe Schmid die politische Linie des Stadtoberhaupts komplett verfehlt. Das ist ein klares Misstrauensvotum.

In der Sache hat Reiter dabei mit vielem Recht. Der Oberbürgermeister hat sich beim Thema Flüchtlinge schon vor Monaten sehr eindeutig positioniert. München soll eine Stadt sein, die hilft. Eine Stadt, die Flüchtlinge nicht unter freiem Himmel schlafen lässt, sondern die alles tut, um eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten. Und vor allem: eine Stadt, in der sich keine Das-Boot-ist-voll-Mentalität breit macht. Nicht alle teilen die Zuversicht von Reiter, dass sich dies durchhalten lässt. Auch in der SPD gibt es bereits andere Töne. Aber die Haltung ist die richtige.

Fraglich ist nun allerdings, ob und wie sich die Haltung des ersten und des zweiten Bürgermeisters zusammenbringen lassen. Denn klar ist auch: Eine Stadtspitze, die ausgerechnet bei dem Thema, das Deutschland und Europa die nächsten Monate vermutlich wie kein zweites beschäftigen wird, im Dissens ist, kann nicht funktionieren. Reiter hat angekündigt, sich nach Schmids Rückkehr mit seinem Vize auszusprechen. Ob die Münchner danach im Rathaus auf ein gedeihlich funktionierendes Reiter-Schmid-Duo vertrauen können? Daran haben die vergangenen Tage erhebliche Zweifel geweckt.

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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