Kommentar:Heldenreisen zum Buch

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Das Literaturfest hat durch das Engagement von Doris Dörrie gewonnen. Denn sie hat das Programm sinnvoll erweitert und damit auch jüngerem Publikum einen Zugang ermöglicht

Von Antje Weber

Ein Mensch bricht auf, bewährt sich im Kampf gegen ein Ungeheuer und geht daraus gestärkt hervor. So funktioniert die klassische "Heldenreise", deren Struktur mythischen Erzählungen ebenso zugrunde liegt wie modernen Spielfilmen. Nicht nur bei einem Workshop des Literaturfests war diese Heldenreise ein Thema, sondern unterschwellig bei fast jeder Veranstaltung: Doris Dörrie, die diesmal Kuratorin des Teilprogramms "Forum:Autoren" ist, wählte das Motto "Alles echt. Alles Fiktion". Sie lud viele Autoren ein, die über die Wandlungen des Ichs nachdenken - Helden quasi, die nach bestandener Prüfung noch mal die Wunden anschauen, die ihnen der Drache geschlagen hat.

Nun ist das drei Wochen währende Literaturfest noch nicht vorbei; nach dem Ende des "Forums:Autoren" lässt sich jedoch bereits die Frage beantworten, wohin die Reise in diesem Jahr ging. Sie ging in neue Gefilde: Regisseurin Dörrie interessiert sich für das Erzählen in vielfacher Form, sie bot Film-Workshops an und ließ über Podcasts ebenso diskutieren wie über Lug und Trug in Politik und Literatur - mal unterhaltsam, mal todernst grundiert. Dass sie Fiktion dabei fröhlich als Lüge bezeichnet, ohne stets die tiefere Wahrheitssuche der Literatur zu würdigen, kann man etwas oberflächlich finden. Oder nicht so wichtig nehmen, schließlich lagen die Stärken von Dörries Konzept woanders: Sie hat nicht nur den Blick auf Erzählformen auch jenseits des Buchs erweitert, sondern auch ein besonders bunt gemischtes Publikum angesprochen. Ungewöhnlich viele junge Besucher waren darunter, die in den meist vollen Sälen saßen - und danach vielleicht noch in der coolen neuen Festivalbar im Literaturhaus.

Denn auch darum geht es schließlich bei einem Literaturfest: um das Fest. Um die Erfahrung, in ganz unterschiedlicher Hinsicht ungewohnten Raum zu betreten oder Vertrautes einmal neu zu sehen. Diese Erfahrung kann man übrigens nicht nur im Literaturhaus machen, sondern auch bei der Bücherschau im Gasteig, wo vormittags Horden von Kindern durch die Gänge wuseln und nachmittags Erwachsene in den Neuerscheinungen stöbern. Solche niederschwelligen Einladungen an wirklich alle sind in einer zunehmend sozial gespaltenen, dabei übergreifend digital vernetzten und gehetzten Gesellschaft nicht hoch genug einzuschätzen. Man muss die Fahrt in den Gasteig ja nicht gleich als Heldenreise überhöhen wollen, doch wer Drachen sucht, wird sie dort in so mancher Geschichte finden. Und aus der Prüfung, sich durch ein dickes Buch zu kämpfen, hoffentlich gestärkt hervorgehen.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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