Kommentar:Empathisch und anarchisch

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Die Münchner, die Polizei und die Behörden haben in den vergangenen Tagen bei der Aufnahme der Flüchtlinge Eigenschaften gezeigt, von denen sie sich ruhig ein paar bewahren sollten

Von Nina Bovensiepen

Nein, die Münchner stehen inzwischen nicht mehr täglich am Hauptbahnhof, um den Flüchtlingen zu applaudieren, die zu Tausenden in ihrer Stadt ankommen. Trotzdem ist unvermindert eine Stimmung zu spüren, die niemand vergessen wird, der in den vergangenen Tagen etwas Zeit am Starnberger Flügelbahnhof verbracht hat. In diesen Tagen haben Helfer, Behörden, Politiker und ganz normale Bürger den ankommenden Flüchtlingen in spektakulärer Weise präsentiert, was ein herzlicher Empfang ist. Möglich wurde das in einer für eine Stadt wie München ungewöhnlichen Mischung aus Spontaneität, Empathie und Anarchie.

Spontaneität und Empathie haben all jene bewiesen, die zum Klatschen, zum Helfen und zum Organisieren der Unterkünfte bereitstanden. Und als Anarchie - positiv verstanden - lässt es sich durchaus bezeichnen, wenn die Polizei und die Regierung von Oberbayern sich plötzlich nicht mehr um Regeln scheren, die Bürokratie Bürokratie sein und Flüchtlinge ohne die vorgeschriebene Registrierung ein- und weiterreisen lassen.

Natürlich wird das kein Dauerzustand sein, genauso wie die Herzlichkeit bei manchem sicher von begrenzter Dauer ist. Für die Verteilung der Flüchtlinge auf Regionen gibt es Regeln; Aufenthaltsgenehmigungen zu erteilen und Sozialleistungen zuzuteilen, funktioniert nicht ohne Bürokratie. Es geht nicht ohne. Ebenso wie es nicht ohne handfeste Konflikte ablaufen wird, wenn über das diskutiert wird, was an harten Themen erst bevorsteht: weitere Flüchtlingsunterkünfte, der immer knapper werdende Wohnraum, die Eingliederung von Flüchtlingskindern in Schulen. All das wird kommen. Umso wichtiger ist es aber, dass so viele diese besonderen Tage miterlebt haben - und von deren Stimmung viel bewahren und weitertragen. Etwas mehr Empathie und Anarchie wird München gut gebrauchen können.

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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