Kommentar:Du armes reiches München

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Der Protest zeigt, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Die Politik muss eingreifen und an mehr als ein paar kleinen Stellschrauben drehen

Von Anna Hoben

Es geht die Angst um in München: die Wohnangst. Doch Angst ist bekanntlich nie ein guter Ratgeber. Deshalb haben Tausende Münchner ihr am Samstag lautstark die Stirn geboten. Die große Mieterdemonstration "Ausspekuliert" hat der Politik deutlich gemacht: So wie bisher geht es nicht weiter.

Wohnen ist ein Grundrecht, in der Bayerischen Verfassung, Artikel 106, klingt das zum Beispiel so: "Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung." Die Realität sieht anders aus. Wer eine einigermaßen passable Wohnung hat, der rührt sich besser nicht. Denn etwas Neues, Bezahlbares zu finden - das ist in München nahezu unmöglich geworden. Deshalb bleiben Paare, die sich nicht mehr lieben, in der gemeinsamen Wohnung. Deshalb wohnen vierköpfige Familien in zwei Zimmern. Deshalb kommen alte Menschen gar nicht auf die Idee, ihre eigentlich viel zu große Wohnung zu verlassen, denn für eine kleinere würden sie meist mehr bezahlen. Man nennt das den Lock-in-Effekt: eingeschlossen im eigenen Zuhause.

Existenziell wird die Sorge dann, wenn in der Stadt mit den ohnehin höchsten Mieten in Deutschland eine kräftige Mieterhöhung ins Haus geflattert kommt. Wenn der Vermieter wegen Eigenbedarfs kündigt. Wenn das Haus von einem Investor gekauft wird, der luxuriös modernisiert, um hinterher doppelt so viel kassieren zu können - oder die Wohnungen gleich in Eigentum umzuwandeln.

Die Idee, eine Demonstration zu organisieren, wurde in einer kleinen Kneipe beim Mieterstammtisch geboren. Was die Initiatoren, alle auf unterschiedliche Weise vom Mietwahnsinn betroffen, in drei Monaten auf die Beine gestellt haben, ist beeindruckend. Mit dem "Auszug der Münchner" haben sie gezeigt, was der Stadt eines Tages fehlen könnte. Wenn nur noch jene willkommen sind, die am meisten Geld mitbringen, wird die reiche Stadt ärmer. Eintöniger.

Die 10 000 Münchner sind am Samstag nicht nur für bezahlbaren Wohnraum auf die Straße gegangen, sondern auch gegen soziale Ausgrenzung. Beides hängt untrennbar zusammen. Es ging am Samstag um nichts weniger als um die Frage, wie die Stadt in Zukunft aussehen soll. Inzwischen hat auch die Lokalpolitik begriffen, dass es hier um viel mehr als nur um ein Lamento geht. Die Maßnahmen der Stadt gehen in die richtige Richtung, sie kommen freilich viel zu spät und reichen noch nicht aus. Der Staat ist hier gefordert, die Bürger zu schützen - durch entschiedenes Eingreifen, das mehr ist als ein Drehen an Stellschräubchen.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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