Kolumne: After Eight:Lärmopfer oder Querulant?

Lesezeit: 4 min

Kaum steigen die Temperaturen, spitzt sich der Kampf zwischen Kneipen und Anwohnern wieder zu. Doch reagieren die Nachbarn nicht über?

Beate Wild

Samstagabend, Schellingstraße, es ist gegen Mitternacht. Ein Polizeiauto hält vor der Kneipe "Schall & Rauch", die Beamten betreten das Lokal. Ein Nachbar hat mal wieder bei der Polizei angerufen, um sich über den Lärm auf der Straße zu beschweren. Eine gewohnte Situation, sowohl für das Personal als auch für die Gäste.

Auch vor dem Trachtenvogl in der Reichenbachstraße stehen oftmals Grüppchen vor dem Lokal - sehr zum Ärger der Anwohner. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Um 23 Uhr müssen die Lokale in München ihre Terrassen schließen. Dann darf draußen niemand mehr bewirtet werden. Das "Schall" hält sich an diese Vorschriften, doch es gibt immer wieder Grüppchen, die im Umkreis des Lokals herumstehen und sich unterhalten. Auch vor dem "Horses, Cars & Stars", einer Interims-Bar im Haus daneben, tummeln sich die Gäste vor der Tür. Keiner macht eigentlich großen Lärm, man unterhält sich lediglich. Hin und wieder dringt Musik nach draußen. An diesem Samstagabend kostet die Anzeige dem "Schall" 600 Euro, diesmal ist das Lokal relativ glimpflich davongekommen.

Kaum ist das Wetter besser, nimmt in München der Kneipen-Nachbarn-Lärm-Konflikt sprunghaft zu. Biergärten und Terrassen haben Hochkonjunktur bei warmen Temperaturen, der Münchner holt seine Flip-Flops aus dem Schrank und ist in seinem Element.

Und Sperrstunde hin oder her: Auch wenn die Terrassen längst geschlossen haben, lassen es sich die jungen, urbanen Münchner nicht nehmen, trotzdem weiter draußen zu verweilen. Öffentliche Plätze sind hier ganz gerne genommen. Das Bier bringt man sich von zu Hause mit oder besorgt es sich flugs in einer Kneipe oder einem Kiosk. Beliebt zum "Chillen", wie der hippe Münchner dazu gerne sagt, sind seit jeher Königsplatz und Gärtnerplatz.

Doch nicht nur an Plätzen, sondern auch vor den Kneipen selbst bilden sich oftmals nach 23 Uhr lachende und schwatzende Grüppchen. Es sind meist die Gäste, die zum Rauchen oder frische Luft schnappen nach draußen kommen. Und weil es so schön ist, bleibt man dann gerne dort stehen. Dabei gilt die Faustregel: je betrunkener, desto lauter.

Genau hier liegt das Problem: Die "Gaudi" auf der Straße ruft Anwohner auf den Plan, die sich nicht mit dieser Art von Belästigung abfinden wollen. Ein Anruf bei der Polizei ist dann schon fast obligatorisch. Die Beamten rücken an, ermahnen oder erstatten Anzeige. Wird der Gastwirt angezeigt, muss er mit einer Geldbuße zwischen 150 und 1000 Euro rechnen. Je öfter die Beamten anrücken müssen, desto teurer wird es für den Wirt. Die erste Verwarnung ist noch gratis.

Es gebe leider einige "problematische Hotspots", sagt Christopher Habl vom Kreisverwaltungsreferat. Dort müsse die Polizei häufig vorbeikommen, da die Nachbarn sich regelmäßig beschweren. Ein solcher Lärm-Hotspot ist der Gärtnerplatz und die angrenzende Reichenbachstraße mit ihren vielen Kneipen. Ein besonderer Brennpunkt ist auch das so genannte Bermuda-Dreieck, das Eck, wo sich die Thalkirchner Straße mit der Müllerstraße kreuzt. Dort befinden sich der Club Erste Liga, die Kneipen Kraftakt, Rubin und Schnelle Liebe, sowie ein Döner-Imbiss, der die ganze Nacht geöffnet hat, und die legendäre Bar Pimpernel.

Vor diesen Läden stehen im Sommer unzählige lärmende Nachtschwärmer, durch die ständig sich öffnende Türen schwappt laute Musik nach draußen. Die Anwohner sind genervt. Beschwerden von Nachbarn sind auch der Grund, warum das Pimpernel derzeit wegen Renovierungsarbeiten geschlossen hat. Es wird ein Schallschutz eingebaut, damit die Hausbewohner trotz wummernder Bässe auch mal zum Schlafen kommen. Ob sich die Umbaumaßnahme lohnt, wird sich ab Mai zeigen, wenn die Bar wieder öffnet.

Lesen Sie auf Seite 2, was das KVR unternimmt und was es mit dem "Panik-Button" auf sich hat.

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Die Wirte haben also die Rechnung ohne die Nachbarn gemacht. Das wusste schon Friedrich Schiller. "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt", jammert Wilhelm Tell, und auch im heutigen München trifft diese Aussage häufig zu. Es sind nämlich in der Regel immer die gleichen Anwohner, die die Polizei rufen. Da stellt man sich schon die Frage: Muss jemand, der die absolute Ruhe wünscht, unbedingt mitten in einem Ausgehviertel wohnen? Wäre er auf dem Land oder zumindest in einem stillen Wohngebiet nicht besser aufgehoben?

Außerdem scheint nur München ein Problem mit nächtlichen Lärm zu haben. In anderen deutschen Städten funktioniert das reibungslos. Der geräuschempfindliche Münchner sollte mal bei schönem Wetter der Düsseldorfer Altstadt einen Besuch abstatten. Dort geht es auf allen Straßen bis zum frühen Morgen hoch her, fast schon wie in südlichen Gefilden. Die Anwohner machen hier keinen Ärger.

Genüsslich erinnert man sich an die so genannte Biergartenrevolution im Mai 1995. Rund 25.000 Münchner gingen damals auf die Straße, um für eine Verschiebung der Sperrstunde auf 23 Uhr zu demonstrieren, und bekamen schließlich vor Gericht Recht.

Doch beim KVR schaut man durchaus genau hin, wer sich über eine Kneipe beschwert. Es gebe durchaus ein paar renitente Querulanten, sagt Habl, die es sich zum Sport gemacht haben, bei der Polizei anzurufen. Sollte gerade ein bestimmter Nachbar sich ständig belästigt fühlen, schicke man schon mal Experten vorbei, die eine Lärmpegelmessung in der Wohnung des Betroffenen durchführen.

Kommt es häufig zu Beschwerden, erhält der Wirt einen Auflagenbescheid. Er muss dafür sorgen, dass Türen und Fenster geschlossen bleiben und kein Lärm auf die Straße dringt. Ein Türsteher muss die schwatzenden Partygäste zur Ruhe mahnen und darf sie nicht mit Getränken nach draußen lassen. Die Lizenz wird einem Gastwirt nur als wirklich letzte Konsequenz entzogen, wenn er sich uneinsichtig und nicht kooperativ zeigt.

Das "Schall & Rauch" hat sich für einen besonders lärmempfindlichen Nachbarn etwas Originelles einfallen lassen. In seiner Wohnung wurde ein "Panik-Button" installiert. Wird es ihm zu laut, drückt er diesen. Dann leuchtet hinter der Bar eine Glühbirne auf - ein Zeichen für die Barkeeper, für etwas mehr Ruhe zu sorgen. Die Lampe blinkt derzeit oft auf. Jetzt, wo das Wetter so schön ist.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf dem neuen Stadtportal "münchen extra" von sueddeutsche.de.

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