Klimaschutz in München:München im Öko-Fluss

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Dämmung, Windkraft, Energiesparlampen: Bis zum Jahr 2030 will die Stadt den Kohlendioxid-Ausstoß um die Hälfte reduzieren.

Michael Ruhland

Was sich München vorgenommen hat, gleicht einer Herkulesaufgabe. Bis zum Jahr 2030 will die Stadt den Pro-Kopf-Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid halbieren. Die Politik weiß, dass sie das nur gemeinsam mit Unternehmen und Bürgern erreichen kann, und will als Vorbild vorangehen, beraten und mit Förderprogrammen möglichst viele Münchner zum Mitmachen bewegen. Dahinter steckt die schlichte Erkenntnis: Klimaschutz ist auf längere Sicht nichts anderes als Daseinsvorsorge. Die Süddeutsche Zeitung analysiert in einer Serie, was in der Stadt alles gegen die Aufheizung der Atmosphäre unternommen wird, und wo die Grenzen liegen.

Solaranlagen wie in der Messestadt in München sind Klimaschutz pur. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

München und Klimaschutz - ist das nicht in erster Linie viel heiße Luft und kaum kühles Kalkül? Hatte sich die Stadt nicht schon 1991, als sie dem internationalen Klimabündnis beitrat, exakt das gleiche CO2-Einsparziel bis zum Jahr 2005 gesetzt und fulminant verfehlt (man schaffte nur etwa drei Prozent)? Joachim Lorenz zieht die buschigen Augenbrauen nach oben und fixiert sein Gegenüber. "Es ist technisch möglich, die Halbierung bis 2030 zu erreichen", sagt der Umweltreferent und lässt keinen Zweifel daran, was dazu nötig ist: "Wir brauchen Geld, um die besten Standards zu erreichen."

Geld, das in Zeiten schwindender Steuereinnahmen alles andere als locker sitzt. Dass ein Kämmerer den Blick nicht freiwillig zehn Jahre nach vorne richtet, bestreitet der Umweltreferent gar nicht. Er spekuliert schlichtweg darauf, dass sich Ernst Wolowicz durch nackte Zahlen beeindrucken lässt. 35 Millionen Euro gibt das Sozialreferat nach eigenen Berechnungen beispielsweise jährlich als Heizkostenzuschuss für Hartz-IV-Empfänger aus. Würden die Sozialwohnungen ordentlich gedämmt, könnte die Stadt allein bei diesem Posten eine Menge Geld sparen, rechnet Lorenz vor. Unterstützung kommt von den Münchner Wohlfahrtsverbänden. Sie schulen Ehrenamtliche zu Umweltberatern, die in den kommenden zwei Jahren 30000 Mieter besuchen werden. Als Geschenk mit im Gepäck: zwei Energiesparlampen und ein Thermometer für die richtige Kühlschranktemperatur.

"Wer nicht mitmacht, ist selber schuld."

Der grüne Bürgermeister Hep Monatzeder stärkt seinem Parteikollegen Lorenz den Rücken. Rot-Grün habe in Zeiten wirtschaftlicher Krisen immer antizyklisch gehandelt - und investiert. Deshalb sehe er auch jetzt keinen Grund, angesichts der Finanzkrise die ehrgeizigen Ziele für den Klimaschutz in Frage zu stellen. Monatzeder macht zudem Parallelen zwischen den beiden großen Themen aus. "Es gab auch vor dem Finanzkollaps immer wieder warnende Stimmen. Sie wurden ignoriert." Für den Bürgermeister gibt es aber einen gewaltigen Unterschied zwischen dem Finanzdebakel und dem drohenden Klimainfarkt: "Das eingestürzte Kartenhaus der Banker wird jetzt mit Steuermilliarden wieder aufgepäppelt", sagt er. "Wenn das Klima kollabiert, dann ist der Ofen aus."

Monatzeder ist vom Stadtrat als Klimaschutz-Koordinator bestimmt worden. Seine Thesen dürften nicht allen Akteuren gefallen. "Mittelfristig wird die Automobilbranche als Schlüsselindustrie durch die Umwelttechnik ersetzt", prophezeit er. Die stabilsten Arbeitsplätze biete schon jetzt der Umweltschutzbereich, "da wird sich noch einiges bewegen". Sein Credo: "Wer nicht mitmacht, ist selber schuld." Schließlich könnten alle Unternehmen durch intelligente Investitionen einen Haufen Geld sparen. Dafür biete die Stadt das Programm "Ökoprofit" an. Externe Berater testen mittelständische Unternehmen auf Sparpotentiale, besonders beim Strom- und Wärmeverbrauch, und machen konkrete Vorschläge, was man besser machen kann.

Während der grüne Bürgermeister der Klimaschutz-Koordinator ist, ist Joachim Lorenz für die konkreten Projekte zuständig. Dem Umweltreferenten, Herr über 900 Mitarbeiter, obliegt es, das umzusetzen, was der Stadtrat am 17. Dezember vergangenen Jahres als "Integriertes Handlungsprogramm Klimaschutz in München" beschlossen hat. Jedes der elf Münchner Referate muss bis Jahresende nicht nur auflisten, wie es mindestens 20 Prozent CO2 einsparen will. Auch die Energieeffizienz soll um den gleichen Prozentsatz gesteigert werden.

Die Politik muss die Weichen stellen

Damit nicht alles nur schön auf chlorfrei gebleichtem Papier ausgedruckte Absichtsbekundungen bleiben, müssen die elf Referenten auch den rechtlichen Rahmen abstecken, Strategien ermitteln, wie man bürokratische Hindernisse überwindet und einen genauen Finanzplan aufstellen, der staatliche Zuschüsse und Drittmittel einbindet. "Der Aktionsplan muss aufzeigen, wie es gehen wird", sagt Lorenz.

Dass es funktionieren kann, haben der Stadt mehrere Gutachter bestätigt. Das Öko-Institut Freiburg machte in seiner Expertise aus dem Jahr 2004 Vorschläge, wie sich allein durch die Sanierung von Altbauten bis zum Jahr 2030 mehr als 800000 Tonnen Kohlendioxid einsparen lassen. Der Einsatz von Biomasse und Biogas in den Kraftwerken sowie der bewusstere Umgang mit Energie im Haushalt und in Firmen bringe nochmals fast 700000 Tonnen Reduktion des Treibhausgases; selbst ein vergleichsweise einfacher Schritt, nämlich alle Verwaltungsgebäude, Schulen und den Handel auf Energiesparlampen umzustellen, schlüge noch mit 100 000 Tonnen zu Buche. Insgesamt kommt das Öko-Institut auf ein CO2-Einsparpotential von 57 Prozent bis 2030. Als Basis dient das Jahr 1990.

Es ginge aber noch mehr: Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie hat im Auftrag des Siemens-Konzerns in diesem Jahr am Beispiel der Stadt München dargelegt, dass sich der Ausstoß von Kohlendioxid in den kommenden 50 Jahren um bis zu 90 Prozent herunterfahren ließe; wohlgemerkt mit den jetzigen Technologien und ohne Einbußen beim Komfort. Nur: Die Politik müsse die Weichen bald stellen, lautet die Botschaft der Experten um Professor Manfred Fischedick, Leiter der Forschungsgruppe.

Klimaschutzformel: 20, 20, 20 bis 2020

Mit dem Handlungsprogramm Klimaschutz ist die Stadt einen beherzten Schritt in diese Richtung gegangen. Und sie hievte den einstimmigen Stadtratsbeschluss gewissermaßen auf die Europäische Bühne. Eigentlich ist die EU nicht dafür bekannt, den Regionen, geschweige denn den Kommunen, besonders großen Wert in ihrer politischen Arbeit beizumessen. Brüsseler Politik wird hierarchisch nach unten verordnet. Beim Klimaschutz ist das anders. Im Kyoto-Protokoll von 1997 verpflichteten sich die damals 15 EU-Staaten, ihre Emissionen bis spätestens 2012 um acht Prozent zu reduzieren. Davon ist noch längst nicht einmal die Hälfte geschafft, obwohl bereits vier Fünftel der Zeit verstrichen sind.

Spätestens seit der 4. IPCC-Bericht der Klimaforscher im Jahr 2007 veröffentlich worden ist - die globale Mitteltemperatur könnte in diesem Jahrhundert um bis zu 6,4 Grad Celsius steigen, mit katastrophalen Folgen für den Erdball -, weiß auch Brüssel, dass die Zeit knapp wird. Um die Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, müssen die aktuellen Kohlendioxid-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um mindestens 50 Prozent reduziert werden. Und die Wende muss bis 2020 geschafft sein.

"20, 20, 20 bis 2020" heißt daher die Klimaschutzformel der EU. 20 Prozent weniger CO2, 20 Prozent mehr an Energieeffizienz und an erneuerbaren Energien. Ohne die großen Städte und Ballungsräume, so das Kalkül der Europapolitiker, ist das nie und nimmer zu schaffen. Im Februar dieses Jahres lud die Kommission mehr als 400 Bürgermeister nach Brüssel ins Parlament ein. Mit dabei: Joachim Lorenz und Hep Monatzeder. Es war ein Tag voller Absichtserklärungen und Appelle, und dennoch ein Zeichen, das es so bislang in Europa noch nicht gegeben hat. Mit ihren Unterschriften unter den "Konvent der Bürgermeister" verpflichteten sich die Kommunen, über die Ziele der EU noch hinauszugehen. Innerhalb eines Jahres müssen sie der Kommission einen genauen Aktionsplan vorlegen, wie sie vorgehen wollen. Alle zwei Jahre steht ein Bericht an, der dokumentiert, wo wie viel erreicht wurde. Versagt eine Stadt, wird sie aus dem Konvent ausgeschlossen.

Klimaschutz als Herausforderung

Dieser Vertrag mit der EU ist freilich nicht mehr als eine freiwillige Selbstverpflichtung. Trotzdem erhöht er den Druck. Dass es jenseits von Bekenntnissen schon konkrete Entscheidungen gibt, beweist das Beispiel Stadtwerke. Eine Milliarde Euro will das Unternehmen in regenerative Energien investieren. Erstes großes Projekt ist eine Windkraftanlage vor der Küste Ostfrieslands. Denn die Kraftwerke zur Stromproduktion pusten derzeit 40,3 Prozent des gesamten Münchner Kohlendioxids in die Luft.

Der Anteil erneuerbarer Energien nimmt sich mit aktuell vier Prozent bescheiden aus. Bis zum Jahr 2020 soll er auf mindestens 20 Prozent wachsen, verspricht der Stadtwerke-Chef Kurt Mühlhäuser. Seit ein paar Jahren bietet das Unternehmen zudem ein Öko-Strom-Modell an. Der Kunde zahlt 1,82 Cent pro Kilowattstunde mehr, der Betrag geht laut Vertrag zu 100 Prozent in den Ausbau alternativer Energien wie zum Beispiel Solaranlagen auf Schuldächern.

Ist demnach alles im Öko-Fluss? In ganz so rosigen Farben zeichnet Karin Wurzbacher vom Münchner Umweltinstitut die Zukunft nicht. Die Klimaexpertin des unabhängigen Vereins attestiert der Stadt zwar, dass sie "schon immer etwas für den Klimaschutz getan hat". So komme es nicht von ungefähr, dass die Deutsche Umwelthilfe im Jahr 2005 München zur Klimahauptstadt kürte.

Wurzbacher erinnert jedoch daran, dass die Stadtwerke noch vor wenigen Jahren "massiv in den Kohlestrom einsteigen wollten" - der Stadtrat habe das durch politischen Druck stoppen können. Sie zieht in Zweifel, ob München tatsächlich augenblicklich nur sieben Tonnen Kohlendioxid pro Kopf und Jahr in die Luft pustet, wie das Umweltreferat angibt. Der Durchschnitt liegt in Deutschland bei zehn Tonnen. "Die Wärmeversorgung läuft doch zum allergrößten Teil über fossile Brennstoffe", sagt sie. Das Fernziel von zwei Tonnen CO2 pro Bürger und Jahr hält sie für schwer erreichbar. "Das ist schon eine gewaltige Herausforderung."

© SZ vom 18.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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