Klassenfahrten:Zur Belohnung ins Schlösschen

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Vor mehr als 50 Jahren hat die Stadt das Schloss Maxhofen gekauft. Seither fahren viele Münchner Schüler ins Schullandheim nach Bruckmühl - und haben dort ganz andere Lernerlebnisse

Von Günther Knoll

Zu Mittag gibt es an diesem Tag Schnitzel paniert, aus Putenfleisch. Auf Schweinefleisch verzichte man in der Küche, sagt Willi Reitter, weil viele Gäste das aus religiösen Gründen nicht äßen. Und trotzdem gilt es auch so noch Sonderwünsche zu berücksichtigen. Als die Köchin das Essen bringt, läutet sie eine Glocke, um sich Gehör zu verschaffen im Speisesaal: Zwei Schnitzel sind in Öl herausgegebacken, für die, die sich lactosefrei ernähren. Und ein Vegetarier bekommt statt Fleisch paniertes Gemüse. Ganz schön nobel, was da im "Schlösschen", wie das Schloss Maxhofen in der Umgebung genannt wird, auf den Tisch kommt. Der barocke Gebäudekomplex nahe Bruckmühl im Landkreis Rosenheim war früher Sitz von Edelleuten und Grafen, heute beherbergt er vornehmlich Münchner Schulklassen.

Und denen ist die historische Umgebung ziemlich egal, wie Reitter festgestellt hat. Seine Gästen gehe es um einen angenehmen Aufenthalt mit gutem Essen und Möglichkeiten zum Austoben. Der Gastronom und Sommelier bewarb sich vor acht Jahren bei der Landeshauptstadt als Heimleiter für Maxhofen und gleichzeitig als Bereichsleiter für die Münchner Schullandheime. "Zu jeweils 50 Prozent", sagt er, während sein Handy schon wieder läutet, weil ein Handwerker anfragt. So nebenbei erklärt er zwei Lehrern den Fußweg von Maxhofen zum Tierkundemuseum nach Bruckmühl. Gibt da zwei mal 50 nicht 200 Prozent? Reitter lacht. Ja, sagt er, manchmal sei er in beiden Jobs jeweils zu hundert Prozent gefragt. Aber bereut habe er diese Berufswahl noch nie: ständig wechselnde Gäste, Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen, Verhandlungen, Sitzungen - für Langeweile sei da kein Platz. Insgesamt sei das ein "Erholungsjob", wenn man ihn zum Beispiel mit dem Zentraleinkauf einer Hotelkette vergleiche, für den er auch schon zuständig gewesen sei.

Spielen an der frischen Luft geht im Schullandheim fast immer. Beim Freischach haben die Viertklässler aus der Schule an der Rotbuchenstraße ihren Spaß. (Foto: Robert Haas)

Bei einem Rundgang spürt man, wie stolz Reitter auf dieses Schloss mitten auf dem Land ist. Er zeigt die Schlafräume, die Veranstaltungssäle, den Ehrenhof mit Springbrunnen, den großen Park mit alten und seltenen Bäumen, den Teich, die Bäche, den Spielplatz, die zwei Kaninchen, die extra für das junge Publikum angeschafft wurden. Und er zeigt auch, was alles noch zu tun ist: Vorrangiges Ziel sei es, die Zimmer in allen Heimen mit eigenen Sanitärräumen auszustatten, in den verwinkelten Räumen des Schlosses werde das nicht einfach. Die Möblierung wird ausgewechselt, draußen wird gerade ein neuer Schuppen gebaut. Irgendwo gibt es immer eine Baustelle, auch wenn in Maxhofen einmal gerade nichts los ist. Aber das ist laut Reitter gerade einmal drei Wochen im Sommer der Fall. Sonst ist ständiger Wechsel die Regel. Wenn am Freitag die Schüler nach Hause fahren, ist das Heim von Chören oder Vereinen gebucht, und am Montag kommt dann schon wieder die nächste Klasse. Dazu haben auch die politische Weiterbildung und Berufsinformationstage für Mittelschüler ihren Platz im Schullandheim. Das bedeutet Aufräumen, Saubermachen und Herrichten für die nächsten Gruppen oft in Rekordzeit.

Die kurze Sommerpause "verdanken" sie in Maxhofen der Philipp-Lahm-Stiftung, die dort ihre Feriencamps für Kinder abhält. Und da werde es schon mal richtig eng, sagt Reitter, weil die 81 Betten für den Ansturm nicht ausreichen. Zur Not müssten dann auch Matratzen genügen.

Ob der Bub, der gerade mit den vierten Klassen der Schule an der Rotbuchenstraße in Harlaching in Maxhofen ist, damit klar käme? Die Matratze seines Bett sei "etwas hart", antwortet er auf die Frage, wie es ihm hier gefalle. Aber geschlafen habe er trotzdem bisher ohne Probleme. Und das Essen sei sehr gut, vor allem das Frühstück. Von dem schwärmen auch die Lehrer. David Heß findet die vielen Körner und das Obst, mit dem man sich morgens selbst sein Müsli zubereiten kann, sogar "sensationell". Er sei zum ersten Mal hier - als Lehrer, schränkt er ein, als Schüler sei er schon einmal in Maxhofen gewesen. Der größter Unterschied: "Jetzt habe ich ein Einzelzimmer". Reitter konnte anfangs nicht verstehen, warum das Obst fürs Müsli "so klein" geschnitten werde. Doch inzwischen wisse er: "Die Kinder wollen das." Überhaupt werde auf biologische und gesunde Ernährung Wert gelegt in den Heimen. Mittags gebe es immer zuerst Salat oder Rohkost. Manchen Gästen sei anzumerken, dass sie das zum ersten Mal äßen. Andere entwickelten Heißhunger.

"Rechtsfreier Raum": Christian Becker, Produzent von Fack Ju Göhte

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(Foto: Robert Haas)

"Schullandheime haben wir immer als eine Art rechtsfreien Raum gesehen, in dem man einfach Blödsinn machen darf. Ich hatte einmal eine Nylonschnur eingepackt, als wir mit elf wieder auf die Burg Bischofstein am Niederrhein fuhren. Eigentlich wollte ich angeln. Das ging aber nicht, stattdessen haben wir dann überlegt, ob wir die Schnur samt Haken nicht an der Glocke befestigen können, die im Burghof hing. Also nachts um zwei Uhr raus, den Haken an das Glockenseil und durch das Zimmerfenster in unseren Schlafsaal. Acht Mal ist der Lehrer rausgekommen, weil die Glocke läutete. Aber wir sind nicht erwischt worden. Ein anderes Mal allerdings schon. Da hatten wir uns hinter der Burg verabredet, jeder mit seinem Deo-Spray. Wir hatten einen James-Bond gesehen, in dem der sein Deo zum Flammenwerfer umfunktioniert hatte. Eigentlich ging es immer mehr um Blödsinn als um Alkohol oder Mädchen. Wobei, am Hang neben der Burg waren Weinstöcke. Der Wein wurde in der Burg verkauft, und die Schüler sollten ihn den Eltern mitbringen. Allerdings vergaßen die Lehrer, den Wein erst ganz zum Schluss einkaufen zu lassen. Wir waren ordentlich beschwipst."

"Spannende Fahrten": Beatrix Zurek, zukünftige Bildungsreferentin

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Ich ging bis zur neunten Klasse in NRW zur Schule. Dort war es zumindest zu meiner Zeit nicht üblich, dass Schulen oder Kommunen eigene Schullandheime hatten. Wahrscheinlich waren die Städte damals schon klamm. Wir haben aber schöne Ausflüge in Jugendherbergen gemacht. Dort war es vielleicht sogar ein bisschen feiner als in Schullandheimen. Zum Beispiel gab es Drei- bis Vierbettzimmer. An eine Fahrt in die Nähe von Koblenz erinnere ich mich besonders. Das muss 1975 oder 1976 gewesen sein. Wir waren eine Woche dort und wanderten unglaublich viel. An einem Abend haben wir im Freien gegrillt. Davon gibt es nette Bilder. Auf den Fotos sitzen wir vollkommen verraucht vor einer Feuerstelle und halten Würstel ins Feuer. Solche Fahrten waren spannend für mich. Als Kind bin ich nicht so oft in den Urlaub gefahren, weil uns dafür das Geld fehlte. Wenn ich dann mit der Schule eine Woche am Stück weg war, war das schon etwas Besonderes für mich. Das zeigt auch die Bedeutung, die Schulfahrten und damit Schullandheime haben. Umso mehr freut es mich, dass München derart gut ausgestattet ist. Es war eine gute Idee, die Schullandheimlandschaft so vielseitig zu gestalten."

"Durch Wald und Wiese": Georg Eisenreich, Staatssekretär Kultusministerium

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(Foto: Stephan Rumpf)

"Bei meinen Schullandheim-Aufenthalten gab es unglaublich schöne Erlebnisse. Einmal haben wir eine Schnitzeljagd gemacht, die ganze Klasse war in Gruppen aufgeteilt. Manche Spuren waren absichtlich falsch gelegt, so dass es ganz schön schwierig war. Wir haben uns richtig angestrengt. Es ging durch Wald und Wiesen, zwei, drei Stunden lang. So was macht man als Kind nicht jeden Tag. Ich glaube auch, dass sich der Blick auf unsere Lehrerin geändert hat. In der Schule hat ja Lesen und Vorlesen nicht jedem Spaß gemacht. Im Schullandheim aber hat unsere Lehrerin aus Krabat von Otfried Preußler vorgelesen. Das war eine ganz andere Stimmung als im Klassenzimmer. Wir Kinder lagen oder saßen am Boden und hingen an den Lippen der Lehrerin. Und natürlich haben wir im Schullandheim eine Kissenschlacht gemacht. Und natürlich ist ein Kissen zerrissen und die Federn flogen durch die Luft." Protokolle: Melanie Staudinger, Philipp Crone

"Die Kinder genießen das richtig", hat Lehrerin Christine Walther bemerkt. Schullandaufenthalte seien für die Klassen ihrer Schule zwar die Regel, aber "immer etwas Besonderes". An diesem Tag seien sogar zwei Schüler nachgereist, die bei der Abfahrt noch krank gewesen seien. Für die vierten Klassen sei das so etwa wie eine "Belohnung für das Ackern vor dem Übertritt", ergänzt ihr Kollege Heß. Miriam Grund bezeichnet sich selbst als "Profi", was die Betreuung im Schullandheim angeht. Sie unterrichtet Werken und Textiles Gestalten, manchmal sei sie, wenn es eng werde mit dem Betreuungspersonal, sogar zwei Mal mit dabei. Für die Lehrer bedeute ein solcher Aufenthalt natürlich Stress, deshalb machten das nur Freiwillige.

Inzwischen haben die Kinder das Geschirr abgeräumt und die Tische sauber gemacht. Auch Ordnung halten zu lernen, sei wichtig, sagt Walther. Deshalb gibt es eine "Zimmerolympiade", bei welcher der Zustand der Schlafräume der "fünf Partygirls" ebenso täglich bewertet wird wie das Zimmer, in dem die drei Hasenpfoten sich eingerichtet haben, oder der Raum der "Skelettbrüder". Die Schüler haben diese Türschilder selbst gemalt und sie halten sich an die Zimmerregeln, mal mehr, mal weniger. Reitter jedenfalls zeigt sich zufrieden. Sonst könne es schon mal vorkommen, "dass du erst mal so machen musst, um reinzukommen", sagt er und kickt mit dem rechten Fuß einen imaginären Kleiderhaufen vor der Zimmertür weg.

Es gibt ja auch genügend, was einen vom Aufräumen abhalten kann, auf dem rund zwei Hektar großen Schlossareal, das die Stadt 1960 der Landesversicherungsanstalt Oberbayern abkaufte, die dort ein Invalidenheim eingerichtet hatte. "Eigentlich alles", sagt ein Mädchen auf die Frage, was ihr denn in Maxhofen besonders gefalle. Für einen ihrer Mitschüler ist es "am schönsten, draußen zu spielen". Und ein anderer schwärmt von dem großen Spielplatz. Nur schade, dass man wegen des schlechten Wetters auf das Lagerfeuer habe verzichten müssen. Dass der Fußballplatz im Moment nicht nutzbar ist, das ist den Schülern gar nicht aufgefallen. Aber Willi Reitter hat schon eine große Walze zum Planieren bestellt, "damit die Kinder Fußball spielen können".

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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